Sonntag, 19. August 2018

Burnout bei 11jährigen Schülern ?


«Jetzt gegensteuern, sonst werden die Folgen fatal sein»: 11-Jährige erleiden Burn-out

Der Leistungsdruck auf Kinder hat in der Schweiz massiv zugenommen. Neben den schulischen Anforderungen müssen auch die Erwartungen der Eltern erfüllt werden. Nicht alle kommen damit klar – und erleiden ein Burn-out. 
 
Der Druck in der Schule war schon immer vorhanden. Jedoch scheint für viele die Grenze des Erträglichen überschritten worden zu sein. Bereits Kindergärtner klagen über Bauchschmerzen. Zudem leiden viele Volksschüler an Schlaflosigkeit, Angstattacken, Atemnot und Schwindel.
An der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bern verdreifachten sich Notfälle innerhalb von zehn Jahren. Beim Notfalldienst der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich stellte man im selben Zeitraum einen noch höheren Anstieg fest. «Die Gründe dafür sind vielfältig. Doch ein wesentlicher Faktor ist die Schule», zitiert die SonntagsZeitung Gregor Berger, Leiter der Notfallstation.
 
Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigt Erschreckendes: Jedes dritte 11-jährige Kind in der Schweiz leidet unter Schlafproblemen, 15 Prozent klagen über Niedergeschlagenheit und 12 Prozent über Kopfschmerzen. Auch bei Pro Juventute kommt man zu ähnlichen Erkenntnissen. 30 Prozent der Jugendlichen, die Gebrauch vom Sorgentelefon machen, klagen über «schwerwiegende persönliche Probleme». 2010 waren es noch 18 Prozent.
 

Ursachen

Thomas Mattig, Direktor der nationalen Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, sagt, dass längstens nicht mehr alle Kinder dem Druck der Eltern und der Schule gewachsen sind. Und die Anforderungen sind in der Tat sehr hoch: Nach dem Regelunterricht warten Hausaufgaben, Nachhilfe, musische und sportliche Angebote. Einfach mal Kind sein, liegt da nicht drin. 
Gemäss Reto Wyss, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) und CVP-Regierungsrat im Kanton Luzern, ist die Schule nicht unbedingt der Hauptauslöser für die zunehmende Überforderung der Kinder. Die zusätzliche Belastung kommt durch weitere Tätigkeiten, wie Sport oder Musikunterricht zu Stande. «Dazu kommt der Medienkonsum – der teilweise schon bei Kindern mehr als zwei Stunden pro Tag beträgt.», sagt Wyss weiter. 
Doch die Daten der Unikliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie sprechen für sich. Während der regulären Schulzeit gibt es nicht sehr viele Vorfälle. Jedoch steigt die Zahl der Notfälle vor der Aufnahmeprüfung ins Gymnasium, während der Probezeit und vor der Lehrabschlussprüfung drastisch an.
 

Mädchen eher betroffen

Tendenziell sind Mädchen eher betroffen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass Mädchen alle Anforderungen erfüllen wollen. «Wenn sie merken, dass sie das nicht können, geraten sie in eine Krisensituation», sagt Psychiater Gregor Berger von der Zürcher Notfallstation gegnüber der SonntagsZeitung
Das Beispiel eines 10-Jährigen zeigt aber, dass auch Knaben gegen ein Burn-out nicht gefeit sind. Der besagte Junge wollte eines Morgens nicht mehr aufstehen. Trotz allem Zureden der Eltern und Lehrer verweigerte er den Schulbesuch. Psychologen diagnostizierten eine Erschöpfungsdepression, sprich ein Burn-out.
Ausgelöst wurde die Depression durch ständige Lehrerwechsel – der Bub hatte ganze acht davon. Kinder- und Jugendpsychologe Allan Guggenbühl bestätigt, dass einige Kinder mit einer hohen Anzahl von Lehrpersonen nicht klar kommen.
 

Weniger Hausaufgaben

Der schulpsychologische Dienst des Kantons Schwyz ist gegenwärtig daran, ein Angebot für Schüler mit Prüfungsangst zu erarbeiten. Im Kanton St.Gallen wurde ein solches Gruppentraining bereits im letzten Schuljahr durchgeführt. 
Um Schüler zu entlasten, gilt im Kanton Zürich während den Ferien ein Hausaufgabenverbot. In Bern wurde die Zeit für Hausaufgaben beschränkt: Erst- und Zweitklässler sollen wöchentlich nur noch 30 Minuten, Dritt- bis Sechstklässler 45 Minuten und Schüler der Oberstufe 90 Minuten dafür aufwenden. Im Kanton Genf besteht zudem die Möglichkeit, Hausaufgaben in einer betreuten Stunde gleich nach dem Unterricht zu lösen. 
Thomas Mattig sagt, dass das Problem in der Zukunft sicher zunehmen werde. Zusammen mit Bund und Kantonen wolle die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz das Problem breiter angehen und in den nächsten Jahren rund acht Millionen Franken in eine Kampagne zur psychischen Gesundheit investieren. «Wir müssen jetzt Gegensteuer geben», zitiert die SonntagsZeitung Mattig. «Sonst sind die Folgen für die Gesellschaft fatal.» (vom)