Montag, 26. November 2018

Stressmanagement: "Keine Methode hilft bei jedem"



Es gibt Menschen, die setzen bei Stress auf Meditation oder Yoga, andere auf Fitness. Jedes gute Stressmanagement braucht aber eine gute Diagnostik und einen individuellen Schwerpunkt in der Behandlung, findet Dr. Uwe Böning von BÖNING-CONSULT. Wir wollten von ihm auch wissen, ob Stress gleich Stress ist. Hat ein Top-Manager anderen Stress als ein Buchhalter?

CONSULTING.de: Herr Böning, Stressmanagement ist das große Dauerthema. So werden immer wieder zahlreiche Selbsthilfe-Bücher und Magazine mit "Tipps & Tricks" für ein gutes Stressmanagement veröffentlicht. Was kann ein Coaching, was ein Buch nicht kann?

Dr. Uwe Böning: Coaching kann die Selbstreflexion durch einen vertiefenden Dialog in der Regel wesentlich mehr anregen als nur ein Buch – auch wenn dessen Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Aber Bücher sind einkanalig und nicht dialogisch. Durch das Gespräch mit einem lebenden, zugewandten Menschen mit professioneller Ausbildung und Erfahrung können Individuen spezifischer angesprochen und im Verlauf der Gespräche Fragen auch geklärt werden. Es hängt immer vom Typus ab: Es gibt Menschen, die eher nachdenken und reflektieren als reden – und so zu Ihren Gefühlen kommen, um dann Veränderungen einzuleiten. Aber Achtung: Die meisten Menschen sind eher "Interaktionisten", die leichter zu erreichen sind durch ein Gespräch als durch ein Buch. Andererseits: Bücher können grandiose, tolle Gedanken wunderbar vermitteln. Für Liebhaber der Sprache sind Bücher oft hinreißender, weil lange an der Darstellung von Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen gearbeitet werden konnte. Deshalb und wie immer im Leben: Es kommt einfach darauf an.

CONSULTING.de: Wie sieht denn ein gutes Stressmanagement "à la Böning" aus?

Dr. Uwe Böning: Jedes gute Stressmanagement braucht eine gute Diagnostik, einen sehr individuellen Schwerpunkt in der Behandlung und eine konsequente Begleitung und Betreuung für den Transfer in den Alltag: Einsichten allein genügen in der Regel nicht. Keine Methode hilft bei jedem. Für ein gutes Stressmanagement suchen wir immer die Ansätze auf drei Ebenen: der gedanklich-emotionalen, der vegetativen und der muskulären Ebene. Mit anderen Worten: Ganzheitlichkeit des stressmindernden Vorgehens bedeutet für uns immer ein Gesamtpaket, das nicht nur Stressauslöser beachtet, sondern immer auch die individuellen Verarbeitungsmechanismen berücksichtigt und bearbeitet. Und die Erhöhung der Selbststeuerung des einzelnen Betroffenen gehört einfach dazu. Deshalb ist eine Methodenvielfalt dringend vonnöten. Das, was Tante Maria geholfen hat, muss Jack oder Yvonne gar nichts nützen und umgekehrt. Deshalb: Nicht Meditation oder Yoga zur Beruhigung für die "Aktionisten", sondern für die "Denker" mit hoher Selbstkontrolle. Und Fitness-Training nicht brachial für die alle, die Herz-Kreislauf-Beschwerden haben. Sondern jedem das seine und das nach ausführlicher Diagnostik.

CONSULTING.de: Ist Stressmanagement gleich Stressmanagement? Oder so gefragt: Hat ein Top-Manager anderen Stress als ein Buchhalter?

Dr. Uwe Böning: Ihre Frage verweist auf ein weitverbreitetes Missverständnis: Beim Stress kommt es nicht nur auf den Stressor an, also den Auslöser, sondern auf drei weitere Aspekte: 1. die Grundeinstellung des Beteiligten, wie er mit dem Stressor umgeht, d.h. welche Einstellung er dazu hat. 2. kommt es auf das schon bestehende Stressniveau an. Wer schon hoch belastet oder gereizt ist, der empfindet mehr zusätzliche Belastung als jemand, der entspannt, gelassen und selbstbewusst ist, wenn ein Zusatz-Stressor ihn trifft. Und 3.: ein selbstbewusster Mensch reagiert spontaner mit richtigem Verhalten, weil er sich per se mehr traut, intuitiv etwas Richtiges auszuprobieren. Deshalb hat ein Topmanager in der Regel nicht die gleiche Belastung auf den gleichen Stressor wie ein Mittelmanager oder ein Buchhalter. Der Grund ist klar: Sein Ausgangs-Stressniveau ist niedriger, sein Selbstbewusstsein größer und er verfügt im Allgemeinen über ein größeres Handlungsrepertoire. Deshalb ist seine Belastung meistens niedriger. Aber beide können lernen, ihre Fähigkeiten zur Stressregulation noch zu verbessern.

CONSULTING.de: Viele, die an Burnout erkrankt sind, sind in diesen Erschöpfungszustand geraten, weil ein früher gelerntes Verhalten dies begünstigt, Stress bringt sie an den Rand ihrer Kräfte. Andere leiden überhaupt nicht darunter. Wie begegnen Sie diesem Zustand in ihren Coachings?
Dr. Uwe Böning: Das hängt sehr stark vom konkreten Verständnis ab, was man unter Burnout versteht. Burnout ist nicht identisch mit einer Depression, sondern zuerst einmal ein grenzüberschreitender Zustand nach einer langanhaltenden Überforderung, gerade aus dem Arbeitsbereich, mit der die oder der Betreffende nicht mehr zurecht kommt. Depressionen können überlappende Symptome zum Burnout aufweisen, können aber auch andere Ursachen haben, z.B. grenzwertige Verlusterfahrungen. Allerdings gibt es bei Depressionen auch die klassische und nicht unumstrittene Unterscheidung zwischen endogenen und exogenen Depressionen. Hier befinden wir uns aber in einem Grenzbereich, wo sich der Laie aus der Diagnostik besser heraushalten und sie den entsprechenden Fachleuten überlassen sollte, nämlich Psychologen, Ärzten und Psychiatern. Ohne saubere Diagnostik kann hier kein Behandlungsplan aufgestellt werden.
Eine nach unserem Stress-Verständnis wirklich ganzheitliche Coaching-Vorgehensweise kann bzw. sollte Verschiedenes umfassen: körperlich aktivierende Fitness-Anteile, konkrete Aufgaben zur besseren Bewältigung der Arbeitsanforderungen durch ein verbessertes Zeitmanagement, Optimierung des erholenden Schlafverhaltens, Entwicklung von guten Selbstverstärkungs-Strategien, Erörtern und Angehen konkreter berichteter Schwierigkeiten, Setzen realistischer Ziele auf der psychologischen Seite. Wenn die körperlichen und/oder psychologischen Symptome sehr auffallend sind, sind eine ärztliche Untersuchung oder auch eine psychiatrisch-medizinische Behandlung ergänzend oder schwerpunktmäßig hinzuzuziehen. Ob es eindeutige physiologische Marker zur Unterscheidung von Burnout und Depression gibt, ist derzeit noch sehr umstritten und stark in der Diskussion. Unsere Kunden sind überwiegend gesund, wenn auch stressbelastet. In Grenzfällen überweisen wir an Ärzte.

CONSULTING.de: Vielen Dank für das Gespräch!