Donnerstag, 11. Oktober 2018

Totschweigen oder Handeln


In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Aids, Drogen und Raubüberfälle zusammen. Jährlich nehmen sich 600 Menschen unter 25 das Leben. Expertin Diana Doko räumt mit Vorurteilen auf.

In Deutschland setzen mehr als 10.000 Menschen jedes Jahr ihrem Leben selbst ein Ende. Ein häufiger Grund für den Suizid sind Depressionen. Bei Jugendlichen ist Suizid die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen. Die Berlinerin Diana Doko ist Mitgründerin des Vereins „Freunde fürs Leben“ und klärt junge Menschen über das Thema auf. Mit uns spricht die PR-Beraterin und Hochschuldozentin über den Umgang mit Depressionen, die vor allem bei Managern und am Arbeitsplatz noch immer ein großes Tabu sind.
Frau Doko, warum haben alle Angst, über das Thema zu reden?
Depression und Suizid sind Tabu-Themen in unserer Gesellschaft, und selbst im persönlichen Miteinander ist es schwierig, über depressive Phasen zu sprechen. Daher ist Aufklärung so extrem wichtig, denn nur wenn wir über Warnsignale, Hilfsangebote und Therapiemöglichkeiten Bescheid wissen, können wir zu Lebensrettern werden. Die meisten Menschen reden oft aus Unwissenheit oder Angst, etwas Falsches zu tun, nicht darüber. Und dann sagen oder tun sie oftmals lieber gar nichts. Aber das Nichtstun verhindert keine Suizide.
Gehen Jugendliche eigentlich anders mit dem Thema um als Erwachsene?
Wir als Erwachsene müssen jungen Menschen doch erst einmal einen Umgang mit den Themen Depression und Suizid beibringen, sie für die Problematik sensibilisieren und aufklären. So wie an Schulen über Alkohol- und Drogenmissbrauch informiert wird, muss es dort auch eine Aufklärung über seelische Gesundheit geben.
In der Pubertät spielen doch bei vielen die Hormone sowieso verrückt - wann wird es grenzwertig mit der schlechten Laune?
Ach, das kennt doch jeder von uns aus seiner eigenen Jugend. Da passiert plötzlich so vieles im eigenen Körper, das einem neu und fremd ist. Man weiß nicht wohin mit sich und den Gefühlen, ist unsicher, aufgedreht und durcheinander. Ist das jetzt dauerhaft schlechte Laune oder geht es schon in Richtung psychische Krise? Für Jugendliche, die dann den Unterschied zwischen schlechter Laune und psychischer Krise nicht kennen, weil ihnen gesundheitsfördernde Faktoren wie Resilienz, soziale Kompetenz oder Bewältigungsstrategien nie beigebracht wurden, kann das bis ins hohe Alter Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.
Wie helfen Sie den jungen Menschen mit „Freunde fürs Leben“ konkret?
Wir holen die Jugendlichen dort ab, wo sie sich aufhalten: Im Internet und in sozialen Netzwerken. Wir nutzen ihre Kommunikations- und Informationsgewohnheiten und bieten ihnen mit unserem „frnd“-Youtube-Kanal oder unserer „frnd“-Facebookseite einen niedrigschwelligen Zugang zu so einem schweren Thema wie Depression oder Suizid.

Depressionen am Arbeitsplatz: ein Tabu

Lässt sich sagen, wie viele Menschen Sie durch den Verein gerettet haben?
Wir arbeiten präventiv, daher ist unsere Arbeit nicht messbar. Aber wir haben über 14.000 Freunde auf Facebook, unsere Filmbeiträge hatten bisher über 2,8 Millionen Zuschauer und unsere Website wird regelmäßig zur gezielten Informationsvermittlung von Journalisten, Jugendlichen, jungen Erwachsenen, Eltern, Lehrern, Sozialarbeitern und Therapeuten zu Rate gezogen. So helfen Freunde fürs Leben, Suizide zu verhindern.
Viele Menschen haben Hemmungen, Angehörige eines Menschen anzusprechen, der sich umgebracht hat. Was würden Sie ihnen raten?
Sprechen Sie die Trauernden an und zeigen Sie Mitgefühl. Jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat, egal ob durch Verkehrsunfall, Krankheit oder Suizid, weiß, wie gut es tut, über die verstorbene Person zu sprechen. Der Verstorbene lebt so in der Erinnerung weiter und wird nicht totgeschwiegen.
Wie äußert sich eine Depression und wie können Menschen aus dem privaten Umfeld darauf reagieren?
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir von Freunde fürs Leben keine Therapeuten sind. Wir leisten Präventionsarbeit und weisen auf Hilfsangebote hin. Es gibt Signale, die auf eine Depression oder Suizidgefährdung hinweisen. Beispielsweise wenn sich jemand von seinen Freunden abkapselt oder große Hoffnungslosigkeit ausdrückt oder wenn sich derjenige plötzlich nichts mehr aus lieb gewordenen Dingen macht. Für Depressionen gibt es zahlreiche Ursachen.
Was kann man machen, wenn man meint, die Signale zu erkennen?
Menschen aus dem privaten Umfeld können der erkrankten Person zuhören, zuhören, nochmal zuhören und dabei Geduld und Verständnis zeigen. Es gibt natürlich noch weitere Möglichkeiten, zu helfen. Hier würde ich gern auf unseren Pocketguide "Lebensmüde" verweisen, in dem wir kurz die Fakten, die Vorurteile, die Signale und Hilfsadressen bei Suizidgedanken aufführen. (Anm.: Den Guide kann man über folgende Website bestellen: www.frnd.de)
Auch ungünstige Arbeitsbedingungen durch Leistungsdruck, permanenten Stress oder Konflikte mit dem Chef können eine Depression begünstigen. Wie offen sollten Betroffene mit ihrer Krankheit am Arbeitsplatz umgehen?
Wir haben die Vision von einer aufgeklärten Gesellschaft, in der offen über psychische Krisen gesprochen wird. Und in der Betroffene auf ein gutes Netzwerk und schnelle Hilfe zurückgreifen können. Die Energie, die Betroffene teilweise aufbringen müssen, um ihre Krankheit zu verbergen, kann viel sinnvoller genutzt werden. Depressionen sind behandelbar, man muss sie nur rechtzeitig erkennen. Alles Angestaute und Unterdrückte kann nur nach hinten losgehen. Was ungünstige Arbeitsbedingungen angeht, kann ich immer wieder nur auf die Aufklärung hinweisen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten über gesundheitsfördernde Faktoren verfügen, zu denen unter anderem auch soziale Kompetenz sowie klärende Gespräche oder Konfliktbewältigungsstrategien gehören.

Quelle: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/the_shift/world-mental-health-day-totschweigen-und-nichtstun-verhindert-keine-suizide/14621600-all.html