Freitag, 28. Dezember 2018

"Großstädte können krank machen"


Nie litten mehr Menschen in Deutschland unter psychischen Erkrankungen. Schuld sind moderne Stressoren wie das Pendeln, sagt der Stressforscher Mazda Adli

Herr Adli, in Deutschland steigt die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen seit Jahren. Krankt die Republik oder werden Stress, Burnout und Depression offener thematisiert?
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Menschen sprechen mehr über psychische Probleme und Stress. Das ist ein wesentlicher Grund, warum es einen Anstieg von Krankheitszahlen gibt, die auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind. Haus- und Allgemeinärzte erkennen heute aber auch deutlich besser Depressionen.
 
Psychische Erkrankungen sind heute also genau so häufig wie früher?
Depression ist schon immer eine Volkskrankheit gewesen. Jede vierte Frau und jeder achte Mann trifft es mindestens einmal im Leben.
 
Ein deutsches Phänomen?
Nein, Depressionen sind kein Phänomen der westlichen Welt. Die Weltgesundheitsorganisation stellt fest, dass es seit 2005 weltweit eine Zunahme von 18 Prozent gibt. Schon heute macht sie im globalen Norden die größte Krankheitslast in der Bevölkerung aus. Weltweit gesehen erwartet die WHO diese Entwicklung bis 2030.
Sie behandeln diese Menschen jeden Tag. Wer kommt da in Ihre Klinik ?
Meine Patienten kommen aus allen Altersstufen, allen Berufsgruppen, allen sozialen Gruppen. Es kann jeden treffen. Allerdings erkranken Frauen häufiger an Depressionen als Männer und auch ältere Menschen sind gefährdeter. Aber ich sehe auch viele Menschen, die in jungem Alter erkranken.
 
Sehen Sie die Politik in der Pflicht?
Wir sprechen über eine echte Volkskrankheit, deswegen ist das eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Depression ist eine Stressfolgeerkrankung, die entsteht wenn unsere angeborenen Stresspuffer überlastet sind. Wir leben heutzutage in einer Umwelt voller Stressoren. Unsere Biologie und das genetische Skript, das unsere Stressreaktionen reguliert, stammen allerdings aus der Jäger- und Sammlerzeit. Wir brauchen deshalb eine wirksame Präventionsstrategie, die in Schulen anfängt und in betrieblicher Gesundheitsvorsorge ihre Fortsetzung findet. Ich finde, der Umgang mit Alltagsstress in unserer modernen Lebensumwelt gehört in die Schulen und muss dort genauso vermittelt werden, wie gesunde Ernährung oder der Sinn von Zähneputzen. Erst dann wird psychisches Leiden als Thema besprechbar und aus der Schmuddelecke gezogen. Gerade Depressionen sind noch immer ein Tabu-Thema. Dabei leiden nahezu 5 Millionen Menschen in Deutschland unter einer behandlungsbedürftigen Depression.
Wann sollte man sich Hilfe holen?
Wenn man über längere Zeit niedergeschlagen oder unruhig ist, nicht mehr abschalten und sich schlecht konzentrieren kann. Ein weiteres Frühwarnzeichen ist, wenn man schlechter schläft. Bei vielen Menschen machen sich Depressionen auch durch körperliche Beschwerden wie Kopfdruck, Rückenschmerzen oder einem Druckgefühl auf der Brust bemerkbar.
Warum sind manche Menschen stressresistenter als andere?
Wie stressanfällig wir sind, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Es gibt Unterschiede in unseren Genen oder in der Funktion unseres Stresshormonsystems, in unserer Persönlichkeit. Aber auch unter welchen Umständen wir aufgewachsen sind, hat Einflüsse.  Und ob wir in einer Stadt leben.
Dazu forschen Sie schon lange. Machen Metropolen wie Berlin krank?
Ja, unter bestimmten Umständen können Großstädte krank machen. Vor allem der soziale Stress geht uns an die Gesundheit. Der entsteht aus der Gleichzeitigkeit von sozialer Dichte und sozialer Isolation. Wenn diese beiden sozialen Stressoren auf einen Menschen treffen und man das Gefühl hat, daran nichts ändern zu können, kann es zum Gesundheitsproblem werden. Auf der anderen Seite hat Großstadtleben aber auch gesundheitliche Vorteile. Wenn man in Berlin nach einem freien Psychotherapieplatz sucht, ist das deutlich einfacher als in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern.
 
Gibt es auch gesunde Großstädte?
Es gibt Faktoren, die Städte gesünder machen: Öffentlicher Raum, der von den Menschen genutzt wird oder eine Straße oder Nachbarschaft, die dazu stimuliert vor die Haustür zu treten wirken sozialer Isolation und Einsamkeit als entscheidende Krankmacher in der Stadt entgegen. Auch Grün- und Wasserflächen helfen. Da hat Berlin einfach verdammtes Glück gehabt.
Welche Rolle spielt das Pendeln?
Mit der Zahl der am Tag zurückgelegten Pendelkilometer wächst auch die Zahl der Krankschreibungstage. Das steht in einem direkten linearen Zusammenhang. Auch das soziale Netzwerk schrumpft durch die Pendelei, weil man schlichtweg weniger Zeit für den Freundeskreis hat. Untersuchungen aus den USA zeigen, dass pro zehn Minuten Arbeitsweg der Freundeskreis um zehn Prozent kleiner wird. Das ist deshalb ein Problem, weil unser soziales Netz uns gegen soziale Isolation schützt und einen wichtigen Stresspuffer darstellt.
Macht es einen Unterschied, ob man Auto oder Bahn nimmt?
Autofahrer sind besonders gestresst. In der Rush Hour führt das zu enormen Stressspitzen, die vergleichbar sind mit denen von Kampfjetpiloten im Einsatz. Mit dem öffentlichen Nahverkehr ist es für die Gesundheit besser, am glücklichsten sind aber diejenigen, die jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder sogar zu Fuß gehen. 
 

Schlechte Ernährung erhöht das Risiko für Depressionen


Viel Cholesterin, gesättigte Fette und Kohlenhydrate: Daraus besteht eine Ernährung, die Entzündungen begünstigt. Forscher der Universität in Manchester haben nun herausgefunden, dass Fast Food, Kekse und verarbeitetes Fleisch auch die Gefahr erhöhen, an einer Depression zu erkranken.

Wer viele Nahrungsmittel isst, die Entzündungen begünstigen, hat ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken – unabhängig von Alter und Geschlecht. Dies hat eine Auswertung von elf Studien ergeben, die Zusammenhänge zwischen Depressionen und einer entzündungsfördernden Ernährung untersucht haben.
Dr. Steven Bradburn vom Bioscience Research Center der School of Healthcare Science in Manchester Metropolitan sagt: "Diese Ergebnisse haben ein enormes klinisches Potenzial für die Behandlung von Depressionen und möglicherweise auch für andere Krankheiten wie Alzheimer, die eine entzündliche Komponente haben. Die Ernährung umzustellen, könnte eine günstige Alternative oder Ergänzung zu medikamentösen Behandlungen sein", so Bradburn.
Eine anti-entzündliche Diät enthält viele Ballaststoffe, Vitamine (besonders A, C und D) und ungesättigte Fette. So könnte im Umkehrschluss eine mediterrane Diät mit Olivenöl, Tomaten, grünem Gemüse und fettem Fisch helfen, depressive Symptome zu lindern.
In die Analyse der elf Studien flossen Daten zur Ernährung und depressiven Symptomen von über 100.000 Studienteilnehmern im Alter von 16 bis 72 Jahren ein. Die Studien kamen aus den USA, Australien, Europa und dem mittleren Osten.

Quelle: https://www.aponet.de/aktuelles/ihr-apotheker-informiert/20181227-schlechte-ernaehrung-erhoeht-risiko-fuer-depression.html

Samstag, 22. Dezember 2018

Depression und Angst so ungesund wie Rauchen und Übergewicht?


Einer neuen Studie zufolge erhöhten psychische Probleme das Risiko für Herzkrankheiten, Bluthochdruck und Arthritis ähnlich stark wie Fettleibigkeit und Rauchen

Beim Gesundheitscheck kommen ungesunde Verhaltensweisen wie Rauchen oder ein zu hohes Körpergewicht in der Regel zur Sprache. Eine Frage, die genauso wichtig sein könnte, ist: "Sind Sie depressiv oder leiden Sie unter Angstgefühlen?"
Wissenschaftler der Abteilung für Psychiatrie vom San Francisco VA Medical Center stellten fest, dass eine starke Depression und Angst das Risiko für ein Herzleiden um 65 Prozent erhöhen, für Schlaganfall sind es 64 Prozent, bei Bluthochdruck 50 Prozent und Arthritis sogar 87 Prozent. "Diese erhöhten Risiken ähneln denen der Teilnehmer, die rauchen oder fettleibig sind", sagte Studienleiter Dr. Aoife O'Donovan. "Bei Arthritis scheinen starke Angstzustände und Depressionen sogar noch höhere Risiken als Rauchen und Fettleibigkeit zu verursachen." Auch Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Kurzatmigkeit und Rückenschmerzen waren mit Stress, Depression und Angst assoziiert. Zu Krebserkrankungen wurden hingegen keine Zusammenhänge mit Symptomen für Depression oder Angst gefunden.
Für die Studie wurden Daten aus vier Jahren von 15.418 Rentnern ausgewertet. 16 Prozent der Menschen waren depressiv oder ängstlich, 31 Prozent fettleibig und 14 Prozent Raucher.

Quelle: https://www.aponet.de/aktuelles/forschung/20181220-depression-so-ungesund-wie-rauchen.html

Studie: Der Mangel an einem gewöhnlichen Nährstoff könnte das Risiko auf Depressionen erhöhen


Depressionen können unterschiedliche Ursachen haben und beruhen oft auf einer Zusammensetzung verschiedener Faktoren. Zunehmende Einsamkeit, Unterforderung im Job oder eine unglückliche Partnerschaft sind mögliche Gründe — Forscher fanden nun aber heraus, dass ein Mangel an Nährstoffen ebenfalls eine große Rolle bei der Entwicklung von Depressionen spielt.

Wie eine im Fachblatt „Journal of Post-Acute and Long-Term Care Medicine“ veröffentlichte Studie aufzeigt, steigt das Risiko an Depressionen zu erkranken bei älteren Menschen um 75 Prozent, wenn ein Mangel an Vitamin D vorliegt. Doch nicht nur das — daraus hervorgehend werden ältere Menschen, die an Depressionen erkranken, im Durchschnitt früher in Altenheimen untergebracht und sterben früher.

Teilnehmer wurden über einen Zeitraum von vier Jahren untersucht 

3.965 Menschen im Alter von 50 Jahren und darüber wurden anlässlich der Irish Longitudinal Study on Ageing (TILDA) des Trinity College Dublin untersucht — nach zwei und vier Jahren fanden dabei erneut Untersuchungen statt. Am Ende des Zeitraums hatten 400 der Teilnehmer eine Depression entwickelt. Wie die Forscher schreiben, wurden bei der Studie ebenfalls Faktoren wie depressive Symptome, chronische Krankheiten, physische Aktivität und kardiovaskulare Erkrankungen berücksichtigt.
„Das ist die umfangreichste und größte repräsentative Studie des Depressionsrisikos in Verbindung mit einem Mangel an Vitamin D bei älteren Menschen, die je in Irland durchgeführt wurde“, so einer der Teilnehmenden Forscher Robert Briggs vom Trinity College. „Unsere Ergebnisse liefern wichtige Informationen für die Gesundheitspolitik und zeigen, wie wichtig Nahrungsergänzungsmittel und Behandlungen sind, um einem Mangel an Vitamin D vorzubeugen und ihn zu beheben.“

Mangel an Vitamin D kommt besonders im Winter vor

Zwar wurde ein Mangel an Vitamin D schon zuvor mit Depressionen in Verbindung gesetzt, allerdings lieferte die jetzige Studie eindeutige Beweise, wie die Forscher schreiben. Bekannt ist schon seit langer Zeit, dass Vitamin D wichtig für den Erhalt gesunder Knochen, Muskeln und Zähne ist. Dass es auch eng mit der Gesundheit der Psyche verbunden ist, ist noch relativ neu.
Vitamin D3 ist fast immer mit einem Mangel an Sonnenlicht verbunden. Über einen längeren Zeitraum muss Sonne direkt auf die Haut strahlen, außerdem muss eine ausreichende UVB-Strahlung vorhanden sein, damit die Haut das Vitamin aufnehmen kann. Diese Umstände sind in weiten Teilen der Welt im Winter nicht gegeben. Die Wissenschaftler empfehlen daher, ausreichend Zeit im Freien zu verbringen und sich gesund und ausgewogen zu ernähren — und gegebenenfalls Vitamin D in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zu sich zu nehmen.

Quelle: https://www.businessinsider.de/der-mangel-an-einem-gewoehnlichen-naehrstoff-koennte-das-risiko-auf-depressionen-erhoehen-2018-12

Donnerstag, 20. Dezember 2018

Kino beugt Depressionen vor


Kulturelle Aktivitäten wie Theater- und Kinobesuche schützen vor Depressionen im Alter, zeigt eine aktuelle Studie britischer Forscher.

„Im Allgemeinen kennen die Leute die Vorteile, die eine gesunde Ernährung und Sport für ihre körperliche und geistige Gesundheit haben“, sagt Dr. Daisy Fancourt vom University College London. „Aber es gibt sehr wenig Bewusstsein dafür, dass kulturelle Aktivitäten ähnliche Wirkungen haben.“

Fancourt und ihre Team beschäftigten sich in ihrer aktuellen Studie mit dem Thema Depressionen im Alter. Ältere Menschen sind nicht häufiger depressiv als junge – allerdings kommen sogenannte subklinische Depressionen, also leichte Ausprägungen der Erkrankung, im Alter bis zu dreimal so häufig vor wie bei jungen Menschen.
Die Londoner Forscher werteten Daten von 2.148 Personen über 50 Jahren aus. Die Informationen stammten aus der Datenbank der sogenannten English Longitudinal Study of Ageing (ELSA). Diese Langzeitstudie untersucht Gesundheit, soziales und psychisches Wohlbefinden der älteren Bevölkerung über eine Periode von einem Jahrzehnt.

48 Prozent weniger Depressionsrisiko

Die Analyse der Daten ergab: Menschen, die mindestens einmal monatlich Ausstellungen, Kinos, Opern, Museen, Kunstgalerien oder Theater besuchten, hatten ein um 48 Prozent geringeres Risiko, eine Depression zu entwickeln als Personen, die solchen Aktivitäten nicht nachgingen. Bei der Analyse rechneten die Forscher Risikofaktoren für Depressionen wie gesundheitliche Probleme und Bewegungsmangel heraus.
„Wir waren sehr freudig überrascht von diesen Ergebnissen“, so Fancourt. Ihre Erklärung für den Zusammenhang zwischen kulturellen Aktivitäten und verringertem Depressionsrisiko: Solche Unternehmungen stimulieren den Geist und verbessern die soziale Interaktion – zudem fördern sie Kreativität. „Bemerkenswert ist, dass wir diese Beziehung zwischen kultureller Teilhabe und Depressionen bei Menschen mit hohem Wohlstand genauso wie bei Menschen mit niedrigem Einkommen und durch alle Bildungsschichten beobachten. Das einzige, was sich unterscheidet, ist die Häufigkeit solcher Aktivitäten.“

Quelle: https://www.praxisvita.de/kino-gegen-depressionen-16820.html

Muße-Training für gestresste Ärzte


Kliniken sind zu einem Ort von Stress und Hektik geworden. Die höchste Burnout-Rate unter Medizinern gibt es unter jungen Assistenz-Ärzten. Die Uni Freiburg forscht zu Muße in der Klinik und bietet Achtsamkeitskurse für Ärzte.

Der Klinikalltag ist geprägt von permanentem Zeitdruck: Die Ärzte eilen von Notfall zu Notfall, dazu kommen Nachtschichten und Bereitschaftsdienste. Ausgerechnet junge Mediziner, die eigentlich viel Energie und Idealismus mitbringen und noch ein langes Berufsleben vor sich haben, sind dadurch am meisten gefährdet. Die äußere Hektik verstärkt sich bei ihnen häufig durch die Angst, Fehler zu machen. Und das erzeugt noch mehr Stress. Ein Teufelskreis, der sich auf die Patienten überträgt.

Muße als Disziplin am Uniklinikum Freiburg

Wie Studien zeigen, mindern Druck und Hektik Empathie und Hilfsbereitschaft. Doch die äußeren Bedingungen lassen sich nicht so einfach ändern. "Die Ruhe im Innern finden", lautet deshalb das Credo von Achtsamkeitsforschern an der Universität Freiburg. In ihrem Sonderforschungsbereich Muße läuft eine Achtsamkeitsstudie mit Nachwuchs-Medizinern, die lernen sollen, mit ihrer berufsspezifischen Belastung umzugehen und Stress-Resilienz aufzubauen. Die Erkenntnisse daraus lassen sich auch auf andere Berufe und Lebenssituationen übertragen.

Händewaschen: So wird der Klinik-Alltag zur Meditation

Der Begriff der Muße wirkt antiquiert, ist aber für den Psychologen Stefan Schmidt vom Freiburger Uniklinikum höchst aktuell: Aus Sicht des Freiburger Forschers bedeutet Muße nicht, untätig zu sein, sondern in der jeweiligen Tätigkeit in einen positiven Bewusstseinszustand zu kommen. Dies ermöglicht Entschleunigung, Aufmerksamkeit und Fokussierung. Muße beginnt demnach nicht irgendwann nach Feierabend, sondern zum Beispiel vor oder während einer Behandlung.
 
Denn Muße kann man lernen, und zwar mithilfe ganz banaler Übungen, erklärt Stefan Schmidt. So sollen Ärzte etwa nicht über die Klinikflure rennen, sondern bewusst gehen und schon dadurch entschleunigen. Oder während der Hände-Desinfektion geistig kurz innehalten, die Hände spüren und sich des eigenen Körpers bewusst werden. Aus dieser innerlichen Ruhe heraus kann dann ein Gespräch mit dem nächsten Patienten aufmerksamer verlaufen, was die Kommunikation für beide Seiten angenehmer macht. Das sind erste Ergebnisse der Freiburger Studie, deren Auswertung noch läuft.

Meditationskurse für Ärzte

Diese Alltags-Rituale können Mediziner in einem mehrmonatigen Achtsamkeitstraining an der Freiburger Uniklinik einüben. Außerdem werden Meditationen und Übungen zur Körperachtsamkeit angeboten. Dabei bietet sich ein ungewohntes Bild: Die Teilnehmer liegen auf Yoga-Matten und sind ganz in ihrer Ruhe. Beim Körper-Scannen etwa fühlen sie dann in bestimmte Körperbereiche hinein, erkennen unbewusste Anspannungen und lernen, gezielt loszulassen.
 
Im Offenburger Ortenau-Klinikum, wo Ärzte seit längerem an Meditationskursen und Achtsamkeitstrainings teilnehmen können, hat sich diese Praxis bereits bewährt. Die große Hoffnung der Freiburger Muße-Forscher ist, dass das Einüben von Achtsamkeit zu einer neuen Qualität des Ärzte-Berufs führt – und dass davon am Ende auch die Patienten profitieren.
 

Das ist die größte Gefahr für unsere Schüler!


WhatsApp, Snapchat und Instagram nutzt fast jeder Jugendliche. Die Folgen können Bauchschmerzen, Depression oder gar Selbstmord sein.
Sie denkt, sie könne ihm vertrauen: Zwar kennt sie ihre neue Flamme nur kurz, doch schickt sie dem jungen Mann sorglos Nacktbilder von sich. Und dann beginnt der Ärger: Die freizügigen Fotos machen die Runde. Vor allem bei WhatsApp. Und bald kennt sie die ganze Schule unbekleidet. Und die junge Frau ist Lästereien, Beleidigungen und Mobbing nahezu hilflos ausgeliefert.
 
Fast jeder Jugendliche hat heute ein Smartphone oder Tablet, nutzt soziale Netzwerke wie WhatsApp, Snapchat und Instagram. Gerade in geschlossenen Gruppen nehmen es da viele mit dem Recht nicht ganz so genau, verbreiten unrechtmäßige Fotos, setzen Gerüchte und Lügen in die Welt und beschimpfen manche Teilnehmer auch ganz direkt aufs Übelste. Ganz besonders schlimm wird's, wenn dann auch noch Bedrohung und Erpressung ins Spiel kommen. Mobbing im Internet, das sogenannte Cyber-Mobbing, wird immer mehr zum Problem.

Mobbing im Internet: Folgen von Depression bis Selbstmord

"Gründe fürs Mobbing gibt es unzählige", sagt Peter Lorenz vom Referat Prävention der Heilbronner Polizei. Motive für das widerliche Verhalten der Mobbenden: "Manche suchen nach Aufmerksamkeit, andere wollen Vorurteile schüren und Rassismus verbreiten, cool wirken, Macht demonstrieren - oder sie haben ganz einfach Langeweile." Dies kann aber schwerwiegende Folgen für die Opfer haben. Lorenz: "Es fängt an bei schulischem Leistungsabfall, Schulverweigerung, geht über psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen und selbst verletzendes Verhalten - bis hin zu Depressionen und Selbstmord.
 
Opfer solcher Angriffe sind meistens schüchtern, in sich gekehrt und beteiligen sich wenig am Unterricht. Aber es gilt trotzdem: "Jeder kann Täter oder Opfer werden." Jeder dritte bis vierte Schüler ist von Mobbing im Internet betroffen. Entweder als Opfer, Täter oder Zeuge. Die Tendenz ist steigend. Vermutlich gibt es wöchentlich bis zu 500.000 Mobbingfälle in Deutschland. Dabei handelt es sich um eine Dunkelziffer, da schwer nachzuvollziehen ist, wie viele Fälle tatsächlich vorkommen. Manche Schüler trauen sich nicht, darüber zu reden - also wird auch nicht jeder Mobbingangriff zur Anzeige gebracht.

Das kann man gegen Mobbing im Internet tun

Doch was kann man gegen das Mobbing im Internet tun? Eltern können Aufklärung betreiben und mit Lehrern zusammenarbeiten. In der Schule sollte man versuchen, den Klassenzusammenhalt zu stärken. Zum Beispiel mit gemeinsamen Unternehmungen. Regelmäßige offene Gesprächsrunden können hilfreich sein. Ebenso wie klare Regeln und Sanktionen. Je höher die Wohlfühlatmosphäre ist, desto weniger Mobbingfälle gibt es. Kinder sollten das Opfer unterstützen und direkt mit dem Mobbenden reden.
Grundsätzlich gilt ein vorsichtiger Umgang mit eigenen Daten. Erst recht, wenn diese sehr persönlich sind. Opfer von Mobbing-Attacken können die Blockierfunktion nutzen, Beweise anhand von Screenshots sammeln - und dann Anzeige erstatten. Peter Lorenz erklärt: "Zurückmobben sollte aber niemand. Denn dadurch könnte sich der Täter bestärkt fühlen, weiterzumachen." Der Experte bietet im Auftrag des Referats Prävention Workshops und Elternabende an Schulen für die Klassen von fünf bis neun zum Thema "Digitale Medienkompetenz" und "Gewalt und Mobbing" an.
 
Quelle: https://www.echo24.de/region/instagram-snapchat-whatsapp-internet-mobbing-depression-selbstmord-10901923.html

Wie sich Burnout-Vorbeugung rechnet


Viele Österreicher gehen wegen psychischer Erkrankungen vorzeitig in Pension. Depressionen und Burnout verursachen dem Gesundheitswesen und der Wirtschaft aufgrund der Krankenstände hohe Kosten. Aber selbst recht einfache vorbeugende Maßnahmen gegen Burnout zeigen große Effekte zur Senkung der Folgekosten.
Das zeigt eine neue Studie, die am Mittwoch in Linz vorgelegt wurde. Darin wurde hochgerechnet, dass sich Österreichs Gesundheitswesen 2,934 Milliarden Euro an Kosten durch Präventivmaßnahen wie Mentaltraining ersparen könnte. Dabei handelt es sich um die wahrscheinliche Variante, wenn nur Personen, die ihren psychischen Gesundheitszustand schon negativ einschätzen, vorbeugende Maßnahmen in Anspruch nehmen. Vorbeugung rechnet sich demnach auf jeden Fall. Für die Wirtschaft werden die möglichen Spareffekte bei Krankenständen dabei mit 2,1 Milliarden Euro beziffert.
 
Die Studie wurde im Auftrag der Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich (IWS) von Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider und Elisabeth Dreer von der Universität Linz in Kooperation Pro Mente Oberösterreich und einem Mentaltrainer durchgeführt. In drei großen Unternehmen in Oberösterreich haben 67 Mitarbeiter teilgenommen: 33 davon mit Maßnahmen zur Burnout--Prävention in Form von Mentaltrainings, 34 Personen als "Kontrollgruppe" ohne solche Hilfe.
Bei der Hälfte Verbesserungen durch Mentaltraining
Die Ergebnisse wurden für Österreich hochgerechnet. Und zwar für jene 44 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 20 und 70 Jahren (rund 2,6 Millionen Personen), die sich selbst laut eneiner repräsentativen Befragung in einer psychisch belasteten Situation sehen.
In den drei Testunternehmen zeigte sich bei jenen, die Mentaltraining in Anspruch nahmen, eine eindeutige Verbesserung der psychischen Gesundheit. Bei der Hälfte (51 Prozent) gingen die Risikomuster (Überanstrengung, Burnout) zurück, bei der Gruppe ohne Mentaltraining blieb der Anteil stabil.
Bei der Hochrechnung auf die österreichweit 44 Prozent Personen, die sich psychisch belastet fühlen, wurden drei Formen unterschieden. Bei 19 Prozent (1,1 Millionen Menschen) ist die Situation problematisch, 17 Prozent (eine Million Menschen) befinden sich in einer Vorstufe zum ‚Burnout und weitere acht Prozent (500.000 Personen) sind schon im Erkrankungsstadium.
Der Grund für die Unterscheidung: je früher Burnout diagnostiziert wird, umso geringer sind die Folgekosten einer Behandlung. Je später, umso teurer wird es.
Im Maximalfall fast 13 Milliarden an Kostenersparnis
Darüber hinaus wurden in der Linzer Studie drei Szenarien berechnet: wenn alle Personen, die sich bereits psychisch belastet fühlen, ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen; wenn dies 50 Prozent der Betroffenen machen und wenn sich jene 21 Prozent, deren Einschätzung schon mittelmäßig, schlecht oder sehr schlecht ist, zum Arzt gehen.
Entsprechend unterschiedlich fallen die möglichen Einsparungen für Gesundheitswesen und Wirtschaft bei den Krankenständen gerechnet auf den gesamten Krankheitsverlauf aus. Im Maximalfall, wenn alle Betroffenen ärztliche Hilfe nützen, was als hypothetisch gilt, könnten die durch niederschwellige Prävention vermiedenen Ausgaben für Therapien und Folgekosten sogar bei fast 12, 8 Milliarden Euro liegen. Bei dem laut Studie wahrscheinlicheren Fall, dass jene, die ihren psychischen Gesundheitszustand bereits negativ einschätzen, medizinische Hilfe beanspruchen, betragen die Einsparungen immerhin noch 2,9 Milliarden Euro.
Bei den vermeidbaren Kosten für Krankenstände durch Burnout-Vorbeugung zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Einsparungen betragen laut Hochrechnung im Extremfall 10,6 Milliarden Euro, im wahrscheinlicheren Szenario, dass jene, die sich bereits nicht gesund fühlen, dies nützen, wären es 2,1 Milliarden Euro an Einsparungen beim Krankenstand.
Ökonom Schneider verwies darauf, dass ein früher Zeitpunkt der Diagnose die volkswirtschaftlichen Kosten entscheidend dämpfe. Die jetzige Studie zeige, dass schon niederschwellige Vorbeuge-Maßnahmen signifikante Verbesserungen der Gesundheit und damit eine Entlastung des Gesundheitssystems bringe und die Krankenstandskosten für die Wirtschaft reduziere. Die Rentabilität solcher Maßnahmen bezifferte er mit eins zu hundert.
Rechtzeitige Maßnahmen sind "besonders wichtig"
Oft ist Stress ein Verursacher von Angsterkrankungen und Depressionen. Der Psychiater und Vorsitzender von Pro Mente Oberösterreich, Werner Schöny, betonte daher ebenfalls, es sei "besonders wichtig" rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die stressbedingte Auslösung einer Erkrankung zu verhindern.
Für Oberösterreichs neuen Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP) ist die Studie wertvoll. Sie zeige, dass Prophylaxe für den Betroffenen und den Wirtschaftsstandort Vorteile bringe. Genau in diese Kerbe schlug auch IWS-Geschäftsführer Gottfried Kneifel. Auf den Erkenntnissen der Studie könne auch die Bundesregierung aufbauen.
 

Samstag, 15. Dezember 2018

„Depressionen werden bei Männern systematisch unterdiagnostiziert“


Manche Stereotype halten sich hartnäckig: Demnach neigen insbesondere Frauen zu Depressionen. Ein Irrglaube – dies zeigt auch die dreimal höhere Suizidrate bei Männern. Es gibt einen Grund, warum sie durch das Diagnoseraster fallen.
Mark Hogencamp liegt schreiend auf dem Boden. „Wir müssen in Deckung gehen, wir müssen in Deckung gehen!“, ruft er panisch. Sein Gesicht ist vor Angst verzerrt, die Augen sind zugekniffen. Hogencamp leidet an Angstattacken. Er bildet sich ein, animierte Barbiepuppen zu sehen. Sie prügeln auf ihn ein, sehen aus wie Nazis. Fünf weitere Barbiepuppen erscheinen, weiblich und auf Stöckelschuhen. Mit Maschinengewehren erschießen sie die Angreifer, retten Hogencamp.
Die Szenen stammen aus dem Trailer zum Film „Willkommen in Marwen“, der Anfang 2019 ins Kino kommt. Steve Carell spielt die Hauptrolle, die Geschichte des Films ist wahr. Nach einem Barbesuch im April 2000 wird der Maler Mark Hogencamp verprügelt und erkrankt an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Als seine Versicherung die nötige Therapie nicht mehr bezahlt, flüchtet er sich in eine Fantasiewelt: das belgische Miniaturdorf Marwencol, das er in seinem Garten aufbaut. Dort durchlebt er die traumatische Erfahrung wieder und wieder und versucht, sie zu bewältigen.

Ein Mann, der an einer psychischen Störung leidet, und weibliche Helden – das ist in Mainstream-Medien ein ungewohntes Bild. Denn entsprechend dem Stereotyp sind Frauen ängstlich, schwach und traurig, Männer hingegen stark und belastbar.
Statistiken über Depressionen bei Männern und Frauen scheinen das auf den ersten Blick zu bestätigen. Es gibt eine deutliche „Gender Depression Gap“, eine Schere, die besagt, dass zwei- bis dreimal so viele Frauen wie Männer die Diagnose Depression erhalten. Doch es gibt noch eine andere Zahl: Etwa dreimal so viele Männer im Vergleich zu Frauen begehen Selbstmord. Wie passt das zusammen?
Dass Männer ein geringeres Depressionsrisiko haben, schließt Anne Maria Möller-Leimkühler, Sozialwissenschaftlerin an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie München, aus: „Es gibt keine Daten, die das biologisch oder psychologisch belegen können. Vielmehr handelt es sich um eine systematische Unterdiagnostik bei Männern“, erklärt sie. Depressionen seien keine Frauenkrankheit. Ein Faktor sei, dass Männer noch immer seltener zum Arzt gehen – trotz Aktionen wie dem „Movember“, bei der für einen Monat lang Schnurrbart-Tragen angesagt ist. Das Ziel der Bewegung: auf Themen der Männergesundheit aufmerksam machen.

Zum anderen gebe es bei der Depressionsdiagnose einen „Genderbias“, also eine Verzerrung der Wahrnehmung durch Geschlechtervorurteile: „Die Depressionsforschung wurde hauptsächlich anhand von weiblichen Probanden durchgeführt.“ Die so entstandenen Diagnosefragebögen sind eigentlich nicht auf Männer übertragbar. Denn: Häufiges Weinen und Grübeln, Selbstzweifel, Angstzustände – Symptome wie diese geben sie selten an, oft aus Scham, weil derartige Gefühle als typisch weiblich gelten. Trotz Erkrankung fallen also viele Männer durch das Diagnoseraster.

Um Depressionen bei Männern besser zu erkennen, reiche es aber nicht aus, das Diagnoseraster zu erweitern, erklärt Möller-Leimkühler. Depressionen und entsprechende Gefühle sollten gleichzeitig nicht mehr als Schwäche oder persönliches Versagen angesehen werden. Zudem müssten Männer lernen, einen besseren Zugang zu ihren Gefühlen zu bekommen und sich von der Vorstellung des starken Mannes zu lösen. „Denn: Je stärker sich ein Mann an diese Normen gebunden fühlt, desto eher fühlt er sich unmännlich, wenn er Probleme hat, diese zu erfüllen. Studien zeigen, dass dies mit einem höheren Depressionsrisiko einhergeht“, erklärt Möller-Leimkühler.

Die Depressionsforschung wurde hauptsächlich anhand von weiblichen Probanden durchgeführt
Anne Maria Möller-Leimkühler, Sozialwissenschaftlerin
Bei vielen Männern äußern sich Depressionen aber tatsächlich ganz anders. Anstatt traurig zu sein, zu grübeln und über den psychischen Stress zu sprechen, kompensieren sie ihn auf der Verhaltensebene. „Die Unterschiede bei den Symptomen basieren darauf, wie Männer mit emotionalen Konflikten umgehen“, erklärt Möller-Leimkühler. Sie hätten keinen unmittelbaren Draht zu ihren Gefühlen – was nicht nur hirnanatomische, sondern auch sozialisationsbedingte Gründe habe: „Jungen lernen schon früh, ihre Emotionen zu kontrollieren, was später dazu führen kann, dass die typischen und eher bei Frauen beobachteten Depressionssymptome verleugnet, verdrängt oder abgewehrt werden.“ Das allerdings kann Symptome wie Aggressionen, Süchte und antisoziales Verhalten auslösen.
Suizidalität hingegen ist ein Anzeichen, das bei beiden Geschlechtern auf eine Depression hinweist. Die Rate ist bei Männern jedoch dreimal so hoch wie bei Frauen. „Der Suizidversuch bei Frauen ist ein Hilfeschrei, Männer setzen ihr Vorhaben dagegen mit härteren Methoden gezielt um. Sie haben eine deutlich stärkere Selbsttötungsabsicht, denn wenn ihnen selbst das nicht gelingt, wäre es ja peinlich“, sagt Möller-Leimkühler.

Quelle: https://www.welt.de/icon/partnerschaft/article185449634/Wieso-werden-bei-Maennern-seltener-Depressionen-diagnostiziert.html

Donnerstag, 13. Dezember 2018

Wie man mit Depressionen im Job umgehen kann


Bei Magen-Darm-Grippe bleiben wir im Bett, mit Schnupfen machen wir Homeoffice. Aber es gibt Krankheiten, bei denen das schwierig ist.

Ich bin 39 Jahre alt und lebe das Leben, das ich mir gewünscht habe. Tatsächlich aber fühlt sich gerade gar nichts gut an – ich stecke seit Wochen in einer depressiven Episode (so nennen Ärzte das), die im Grunde jeden von uns erwischen kann. Ja, auch Sie. Und zwar so unerwartet und unerwünscht, wie man plötzlich einen Schnupfen bekommt. Aber der Reihe nach.
Ich bin schon mit 15 an Depressionen erkrankt und habe über viele Jahre viel Energie in eine „Strahlemaske“ investiert – ein Gesicht, das ich öffentlich zeigte, das andere sehen und dem sie glauben sollten.
Mit der Energie, die ich investierte, hätte ich Kraftwerke betreiben können. Warum habe ich das getan? Weil ich mich schämte, mich unvollkommen oder unsicher fühlte. Oder weil ich nicht klagen, nicht schwach wirken, keine Last sein wollte. Schon gar nicht am Arbeitsplatz, wo Depressionen und andere seelische Krankheiten noch immer ein Tabuthema sind.
Dabei bin ich mit meiner Strahlemaske überhaupt nicht alleine. Mindestens jeder zehnte Arbeitnehmer erkrankt im Job an einer seelischen Störung. Laut Bundesgesundheitsministerium leidet jeder dritte von uns im Laufe seines Lebens mal an einer solchen Krankheit. Und wir Deutschen leiden laut einer EU-Vergleichsstudie zufolge sogar relativ oft an psychischen Krankheiten.

Die häufigste Form ist die Depression, worunter etwa Angstzustände oder auch das Krankheitsbild des Burn-Out-Syndroms fallen. Richtig gelesen: Auch der weniger stigmatisierte Burnout ist medizinisch eine Form der Depression.
Wie kommt es dazu, dass man an einer Depression erkrankt? Wen kann es erwischen? Wie lassen sich Job und Krankheit unter einen Hut bringen? Und was können Chefs und oder Kollegen tun (oder lassen), um alles nicht noch schlimmer zu machen?

Die Ursachen sind vielfältig, und auch der Job kann krank machen

Zoff mit dem Partner, Geldsorgen, Mobbing, ein Todesfall in der Familie – die Ursachen für psychische Erkrankungen sind vielfältig. Dazu gehört manchmal auch der Beruf. Die Techniker Krankenkasse untersuchte in einer Studie, welche Arbeit am häufigsten depressiv macht.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass vor allem Kranken- und Altenpfleger, sowie Erzieher und Erzieherinnen gefährdet sind. Die drei Berufe haben zwei Dinge gemein: Eine hohe Arbeitsbelastung bei relativ schlechter Bezahlung, außerdem steigt die Belastung in diesen Berufen seit Jahren, die Wertschätzung aber nicht. Besonders oft sind auch Lehrer, Unternehmensberater oder Beamte in der öffentlichen Verwaltung betroffen.
Prinzipiell können Sie natürlich in jedem Beruf depressiv werden oder auch in einem „gefährdeten“ Beruf langfristig gesund bleiben. Und doch konnten Wissenschaftler vor allem in Berufen, in denen man viel mit Menschen zu tun hat, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, ausmachen.
Der Anteil an Krankheitstagen durch psychische Erkrankungen hat sich seit den 1990er-Jahren mehr als verdoppelt. Für ein Unternehmen mit 250 Mitarbeitern bedeuten das, dass mindestens ein Arbeitsplatz im Jahr wegen Depressionen unbesetzt bleibt.

Ja, Depressionen sind die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit und enden schlimmstenfalls im Tod. Darüber habe ich neulich erst mit der Expertin Diana Doko gesprochen. Sie sagt: „In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Aids, Drogen und Raubüberfälle zusammen.“ Jährlich nehmen sich 600 Menschen unter 25 das Leben. Bei Jugendlichen ist Suizid die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen.
An Depressionen erkranken kann jeder genauso wie an Heuschnupfen, Diabetes oder Krebs. Die Experten der Techniker Krankenkasse rechnen sogar damit, dass die Depression 2030 die häufigste Krankheit in den Industrienationen sein könnte.

Depressionen sind kein persönliches Versagen

Depressionen sind eine Diagnose, kein persönliches Versagen. Trotzdem ist es noch immer ein Tabu, darüber zu reden. Vor allem am Arbeitsplatz fürchten viele, stigmatisiert zu werden.
Es ist die Tragik der Leistungsgesellschaft: Wir reden über Schlafstörungen, Verdauungsprobleme und sexuelle Identitäten, aber psychische Probleme sind immer noch eine No-Go-Area und werden als Schwäche interpretiert. Ich will Ihnen heute von dem Weg erzählen, den ich ich gegangen bin.

Angefangen hatte alles im Sommer 2017 mit einem Zusammenbruch und dem Hashtag „Work with Depression“. Ich war es leid, mich mit meiner Krankheit verstecken zu müssen. Also schrieb ich nach meiner Krankschreibung auf Facebook und Twitter auf, was wirklich gerade los ist bei mir.
Dass es in meinem Leben Tage gibt, an denen gar nichts geht. Dass ich meine Klamotten im Badezimmer seit Wochen nur noch von der Leine in vier große Boxen werfe, statt sie in den Kleiderschrank zu sortieren. Dass ich seit Wochen nichts mehr fühle und weder lachen noch weinen kann.
Meine Offensive war auch ein Experiment. Ich wollte wissen, wie die Leute reagieren, wenn jemand mal keine Smoothie-Fotos, Motivations-Sprüche oder lustige Youtube-Videos postet, sondern über Panikattacken beim Einschlafen schreibt.
Jetzt denken Sie sicherlich: „Ist die denn verrückt? Was ist denn, wenn Arbeitskollegen das lesen oder der Chef davon Wind bekommt?“ Angst davor, verurteilt zu werden, hatte ich nie. Weil diese Krankheit ein wichtiger Teil von mir ist.
Als eine Anfrage vom WDR für ein Interview vor der Kamera kam, habe ich nicht lange nachgedacht und „ja“ gesagt. Wenn Sie meinen Namen googeln, dann erscheint ziemlich weit oben der Link zum Fernsehbeitrag mit der Headline: „Carina Kontio hat Depressionen.“

Jede Erkrankung ist einzigartig und individuell

Die Depression sehe ich als einen Teil von mir und nicht als Krankheit. Sie ist ein wichtiges Puzzlestück, das schon seit mehr als 20 Jahren zu meiner Persönlichkeit gehört. Früher wusste nur mein engeres Umfeld Bescheid. Dass ich inzwischen offen darüber sprechen kann, tut mir gut und hilft mir, besser mit der Diagnose umzugehen.
Ich weiß mittlerweile, dass ich für niemanden arbeiten will, der kein Verständnis für psychische Erkrankungen hat oder diese durch Druck auf seine Mitarbeiter vielleicht sogar noch fördert. Und ja, das erfordert Mut und ist riskant, und es ist sicherlich auch kein Weg für jeden. Ich habe einen depressiven Freund, der bei der Polizei arbeitet und seine Erkrankung seit Jahren mit einem krassen Aufwand verheimlicht – aus Angst, den Job zu verlieren.
Das ist doch grotesk! Als ob andere Mitarbeiter nie ausfallen würden, weil sie Grippe haben oder einen Bandscheibenvorfall. Bekannte, die Lehramt studieren, bezahlen ihre Therapie selbst, um nicht aufzufliegen. Ein weiterer Kniff ist, den Arzt eine andere Diagnose aufschreiben zu lassen. Etwa chronische Schmerzen, Migräne oder Schlafstörungen.

Wann Sie sich vor den Kollegen und dem Chef outen und wann besser nicht, müssen Sie im Einzelfall genau abwägen. Obwohl depressive Berufstätige nicht alleine sind, halten die meisten ihre Erkrankung geheim.
Ein Grund ist, dass Kollegen die Schwere der Erkrankung nicht immer erkennen. Zwar können Arbeitgeber so schnell niemandem kündigen, weil er an einer Depression erkrankt ist. Aber im Stillen denken sich vermutlich manche: Ich komme morgens auch schwer aus dem Bett, ich habe auch Probleme, der soll sich mal nicht so anstellen.

Nach meinen ersten Postings haben sich viele Arbeitskollegen bei mir gemeldet und von eigenen depressiven Phasen erzählt – aber immer nur im Messenger oder per E-Mail, denn sie wollen dann doch lieber nicht zu öffentlich werden. Dabei wäre es so wichtig, offen zu sagen: „Mir ging´s auch mal schlecht, und dieses oder jenes hat mir geholfen, so dass es mir jetzt wieder besser geht.“
Jede Depression und jede psychische Erkrankung ist absolut individuell. Vielleicht ist das das größte Vorurteil, das es in unserer Gesellschaft gibt: Viele haben von Depressiven ein Bild im Kopf als jemand, der verheult den ganzen Tag lang im dunklen Zimmer liegt, sich die Bettdecke über den Kopf zieht und wochenlang nicht das Haus verlässt.
Löschen Sie dieses Klischee bitte. Ich habe prominente Freunde, die trotz Depressionen durch die Republik touren und auf großen Bühnen sprechen. Ich kenne Leistungssportler, die mit Bestzeiten glänzen und gleichzeitig rund um die Uhr Selbstmordgedanken im Kopf haben. Auch mir merkt man die Depression nicht an. Wie oft habe ich das gehört?: „Was, gerade du? Aber du bist doch so ein positiver und fröhlicher Mensch!“

Die Krankheit hat viele Gesichter

Es ist daher höchste Zeit für ein Umdenken, um die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen zu beenden. Vor allem muss unsere Arbeitswelt menschlicher werden.
Es darf nicht immer nur um fachliche, sondern muss in Zukunft auch mehr um emotionale Kompetenz gehen. Und zwar mit dem Ziel, dass nicht nur der Profit im Vordergrund steht, sondern auch eine gesunde Arbeitsumgebung und der achtsame Umgang mit der Ressource Mensch. Das ist jedenfalls das, was ich unter Vielfalt und Diversity verstehe.
Chefs oder Kollegen, die Angst davor haben, dass jemand mit Depressionen besonders kompliziert oder nicht belastbar oder empfindlich gegenüber Kritik ist, rate ich: Lasst uns offen reden. Der Rest ergibt sich dann von ganz alleine. Denn etwas verheimlichen zu müssen, kann für die Betroffenen furchtbar anstrengend sein und hilft überhaupt nicht dabei, wieder gesund zu werden.

Wirklich beeindruckt hat mich vor einem Jahr die Amerikanerin Madalyn Rose Parker. Sie arbeitet als Entwicklerin für den Softwarekonzern Olark und veröffentlichte eine E-Mail-Konversation, die um die ganze Welt ging.
Alleine auf Twitter gab es dafür mehr als 45.000 Likes und 16.000 Retweets. Sie schrieb: „Liebes Team, ich nehme mir heute und morgen frei, um mich auf meine mentale Gesundheit zu fokussieren. Ich werde hoffentlich nächste Woche wieder mit frischer Energie und zu 100 Prozent zurück sein.“
Ihr Chef Ben Congleton reagierte vorbildlich, und was er zurück schrieb, gleicht einem Weckruf zur richtigen Zeit: „Hey Madalyn, ich möchte mich persönlich dafür bedanken, dass Du E-Mails wie diese schickst. Sie dienen mir jedes Mal als Erinnerung, wie wichtig es ist, Krankheitstage auch für die mentale Gesundheit einzusetzen. Unglaublich, dass dies nicht in allen Unternehmen bereits zum Standard gehört. Du gehst mit gutem Beispiel voran und hilfst uns dabei, die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen zu beenden, sodass wir alle am Arbeitsplatz einfach wir selbst sein können.“

Was Chefs und Kollegen tun können

Schweigen kann verletzen – die falschen Worte aber auch. Nicht jeder hat schließlich das Glück, einen Chef wie Ben Congleton zu haben. Hüten Sie sich gegenüber einem Depressiven vor Aussagen wie: „Erfreuen Sie sich an den kleinen Dingen des Lebens, in Afrika verhungern Kinder“, „Haben Sie es schon mal mit Sport versucht?“ oder „Ach komm, das wird schon. Wir sollten mal wieder saufen gehen.“
Wenn Sie als Chef oder Kollege unsicher sind, was sie sagen oder wie Sie reagieren sollten, sprechen Sie genau das an. Fragen Sie: „Wie kann ich helfen und unterstützen? Stimmt die Dosierung der Arbeit? Was brauchen Sie, damit es Ihnen besser geht?“ Das können zum Beispiel flexible Arbeitszeiten sein oder ein kleineres Arbeitszimmer statt ein Platz im Großraumbüro. Man kann als Kollege auch anbieten, mit zum Hausarzt zu gehen.
Übrigens schlägt der Marburger Bund gerade eine ganz interessante neue Form der Krankschreibung vor: eine Lösung zwischen Krankschreibung und hundertprozentiger Arbeitsfähigkeit. So könnte mir meine Ärztin beispielsweise eine vorübergehende Arbeitsminderung verordnen, wenn es mir schlecht geht. Dann könnte ich immer nur ein paar Stunden am Tag arbeiten, Tagesstruktur und Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen blieben erhalten, die Gefahr einer sozialen Isolation wäre deutlich gemindert.
„Viele erkrankte Arbeitnehmer könnten wahrscheinlich schneller genesen und würden weniger lange dem Arbeitsprozess fernbleiben, wenn es nicht nur die Wahl zwischen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit gäbe“, sagt Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes.
Ich sage: Wenn wir füreinander Verständnis zeigen und die Sorgen unseres Gegenübers ernst nehmen, dann haben wir den wichtigsten Schritt im persönlichen Miteinander schon getan. Ich wünsche mir, dass dieser Beitrag auch für Sie ein Anstoß ist, das Tabu zu brechen.
Dass ich trotz chronischer Krankheit in den letzten Jahren arbeiten konnte und kaum ausgefallen bin, ist großes Glück. Es gibt andere Menschen, die das nicht können. Bei mir ist es so, dass mir meine Arbeit Struktur gibt und mich vom Grübeln ablenkt.
In schwierigen Phasen nehme ich Medikamente und sitze ein- bis zweimal in der Woche bei meiner Therapeutin. Auch das hilft mir dabei, den Arbeitsalltag besser zu bewältigen.
Wenn Sie auch eine Psychotherapie machen oder gar ein längerer Klinikaufenthalt Ihren Lebenslauf schmückt, kann ich Ihnen an dieser Stelle eigentlich nur gratulieren. Weil es eine Menge Mut und Reife erfordert, sich seinen Problemen zu stellen, sich Schwäche einzugestehen, Selbstreflexion zu üben und sich als Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Und genau das sind wichtige Eigenschaften sowohl im Privatleben als auch im Beruf.

Quelle: https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/health/tabuthema-am-arbeitsplatz-wie-man-mit-depressionen-im-job-umgehen-kann/23746146.html?ticket=ST-548097-eyeepa64NXzCWWR2Zbdo-ap3

Deutschland arbeitet sich krank!


Rekord-Ausfälle wegen Depressionen und Burn-Out - Arbeitnehmer in Deutschland haben im vergangenen Jahr krankheitsbedingt 668 Millionen Arbeitstage gefehlt

Früher haben sich die Deutschen den Rücken krumm gearbeitet. Heute fehlen sie immer öfter bei der Arbeit, weil der Stress die Seele kaputt gemacht hat – Depressionen und Burn-out sind die neuen Volkskrankheiten!
Das geht aus dem neuen Bericht „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ hervor, den das Bundesarbeitsministerium am Mittwoch im Kabinett vorlegt. Der 286-Seiten-Bericht zeigt: Die meisten Arbeitsunfälle und berufsbedingten Erkrankungen gibt es zwar immer noch im Baugewerbe und in der Landwirtschaft, in Berufen mit hoher körperlicher Beanspruchung also. Aber: Hinter Muskel- und Skeletterkrankungen haben sich die seelischen Erkrankungen („psychische und Verhaltensstörungen“) inzwischen auf Platz zwei geschoben.
In Zahlen heißt das:
► Aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit fehlten Arbeitnehmer in Deutschland 2017 insgesamt 668 Millionen Arbeitstage (2016: 675 Mio.) – 107 Millionen davon gingen auf das Konto von psychischen Leiden wie Depression und Burnout, was zu Produktionsausfällen von rd. 12,2 Milliarden Euro führte.
Zum Vergleich: Vor zehn Jahren, 2007, lag der Anteil der seelischen Erkrankungen noch bei 48 Millionen Fehltagen.

Quelle: https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/depressionen-und-burn-out-so-krank-macht-uns-unsere-arbeit-58958092.bild.html

Dienstag, 11. Dezember 2018

Können Bürohunde einen Burnout verhindern?


Studien belegen: Bürohunde verbessern die Work-Life-Balance der Mitarbeiter. Während größere Unternehmen keine Vierbeiner am Arbeitsplatz dulden, sehen andere Tiere als Pluspunkt im Betrieb.

Früher saß Sabine Schauer (46) alleine in ihrem Büro. Bis sich Kollegin „Lucy“ regelmäßig zu ihr gesellte. „Lucy“ aus Portugal, leicht welliges, braunes Haar, neun Jahre alt. Gewissenhaft macht sie ihren Job, liegt unter dem Schreibtisch, strahlt Gelassenheit aus.
„Lucy“ ist ein portugiesischer Wasserhund. Sie und Hündin „Bella“ sind feste Team-Kollegen beim Reisebüro Behrens in der Eutiner Innenstadt. „Sie steigern ganz klar die Stimmung im Büro“, sagt ihre Besitzerin Sabine Schauer. Wenn Kollegen bei ihr und den Hunden im Büro vorbeischauen, kreisen die Gespräche nicht zuerst um die Arbeit, sondern um die Hunde. Das Stress-Level sinkt automatisch.

Auch im Lübecker B&B-Hotel sorgt mitunter ein Vierbeiner für gute Laune bei Mitarbeitern und Gästen. „Unser ,Finn’ liebt es, die Gäste an der Rezeption zu begrüßen“, erzählt Hotel-Betreiber Gunnar Schmüser. Der drei Jahre alte Cocker Spaniel springe dann mit den Vorderpfoten auf den Tresen und habe bisher jedem Gast ein Lächeln entlockt, erzählt sein Besitzer.

Tiere lockern die Atmosphäre auf

Auch bei der Lübecker Steuerberatungsgesellschaft Wagria gibt es neben fünf Mitarbeitern noch zwei Hunde-Kollegen: Beagle „Pepper“ (13) und Stöberhund „Bono“ (7) sind die „besten Kumpel“ von Geschäftsführer Daniel Reich und immer mit dabei. In seinem Büro rollen sie sich aufs Sofa oder liegen unter dem Schreibtisch. Bei Außenterminen warten die beiden im Auto, manchmal begleiten sie Daniel Reich auch zu Gesprächen mit Mandanten in Berlin.
Es sei ein beruhigendes Gefühl, seine Hunde tagsüber zu betreuen, zu wissen, dass es ihnen gut geht. Bei der Steuerberatung könne jeder Hunde mit ins Büro bringen. Einzige Bedingung: „Der Hund muss lernen, sich zu benehmen“, betont Reich. Aus Gesprächen mit anderen Hundebesitzern weiß der Steuerberater: So entspannt sind in Lübeck und Umgebung nicht alle Unternehmen.

Unternehmen erlauben oft keine Hunde

Beim Medizinunternehmen Dräger dürfen Tiere nicht mit ins Büro. „Aus betrieblichen Gründen sind Hunde auf dem Werksgelände nicht gestattet“, sagt Sprecher Herbert Glass. Auch bei der Industrie- und Handelskammer Schleswig-Holstein seien Bürohunde derzeit nicht erlaubt, sagt Sprecherin Anne Steinbacher. Für Mitarbeiter bei der Stadt Lübeck gibt es keine klaren Regeln – „weder ein Verbot noch eine grundsätzliche Erlaubnis“, berichtet Stadtsprecherin Nicole Dorel. Es gebe aber Einzelabsprachen unter Berücksichtigung des Kundenservice und der Belange der Kollegen.
Markus Beyer findet das schade. Der Hundetrainer gründete vor fünf Jahren den Bundesverband Bürohund, um die Akzeptanz der Vierbeiner am Schreibtisch zu fördern. „An Fabrik-Arbeitsplätzen und an Orten mit strengen Hygiene-Vorschriften sind Hunde nicht möglich, Verwaltungsjobs eignen sich jedoch hervorragend“, sagt der 56-Jährige. Damit würde der Arbeitgeber sich sogar selbst einen Gefallen tun.

Studie: Interaktion mit Hunden verringert das Burn Out-Risiko

Eine Studie aus Schweden belegt nämlich, dass Hunde das Arbeitsklima verbessern. Wenn Mensch Hund streichelt, wird Oxytocin freigesetzt. Das Hormon mindert den Stress und damit das Risiko, ein Burn Out oder Depressionen zu bekommen. „Das ist ein Riesenvorteil“, betont Beyer. Zudem könne der Bürohund als Kommunikationsbrücke zwischen Kollegen und Abteilungen dienen. „Es finden automatisch Gespräche statt, die sich nicht nur um die Arbeit drehen.“
Damit es nicht zu Verstimmungen unter Kollegen komme, müsse es allerdings klare Regeln geben - vor allem in größeren Unternehmen. Etwa in welchen Räumen Hunde erlaubt sind, in welchen nicht und in welchen sie an der Leine zu führen sind. „Es gibt Menschen, die haben Angst vor Hunden. Andere werden von Allergien geplagt. Darauf muss Rücksicht genommen werden“, sagt Bayer.

Bei der Gewinnung von Fachkräften sei es zunehmend wichtiger, ob Unternehmen Tiere zulassen. Das sei bei vielen Bewerbern ein Pluspunkt, werbe für Menschlichkeit im Betrieb, sagt Beyer. Bei der Bremer Werbe-Agentur Bernstein etwa werden Hunde im Betrieb wie alle anderen Mitarbeiter auf der Firmen-Homepage mit Bild, Name und Funktion vorgestellt. „Lula“ ist Work-Life-Balance Manager, „Tate“ Junior Work-Life-Balance Manager und „Nila“ Non-Profit Director.
Beim Heimtierbedarf-Großhändler „Trixie“ im schleswig-holsteinischen Tarp gibt es für die 470 Mitarbeiter sogar eine Bürohund-Beauftragte. Corinna Ruddat achtet darauf, dass Hunde erst dann mit ins Büro kommen, wenn sie zuvor einen Büro-Eignungstest bei einer Hundetrainerin gemacht haben. „Bisher haben den 18 Vierbeiner gemacht“, sagt die 50-Jährige, die von Haus aus Tierärztin ist. Die Tiere hätten bei „Trixie“ verantwortungsvolle Posten. Ist das Spielzeug robust, passt der Hundemantel? Kollege Hund sei bei „Trixie“ praktischerweise als Produkttester im Einsatz, sagt Ruddat.

Quelle: http://www.haz.de/Nachrichten/Wissen/Uebersicht/Kann-Kollege-Hund-einen-Burn-out-verhindern

Montag, 3. Dezember 2018

Burnout beim Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter

 

Burnout beim Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter & Burnout, Erschöpfung und Depressionen überwinden


Kaum Entfaltungsmöglichkeiten, zunehmende Gewalt, hoher Ausländeranteil, wenig Anerkennung

In diesem Buch und seinen 2 Teilen sind sehr viele nützliche Tipps und ein ungewöhnliches Konzept zur Überwindung dieser Krankheiten. Der erste Teil dieses Buches ist mein Werk: „Burnout, Erschöpfung & Depressionen überwinden“. Im zweiten Teil des Buches werde ich auf die Burnout-Situation von Lehrern, Erziehern und Sozialarbeitern eingehen. Ihre Arbeit wird von der Gesellschaft viel zu wenig mit Wertschätzung versehen. Dieses Buch kann vielleicht einen kleinen Beitrag dazu leisten auf die unbefriedigende Situation hinzuweisen und diese „Helden des Alltages“ zu ehren!

5 Tage in der FreePromo:
https://www.amazon.de/gp/product/B07KWB5FS2?pf_rd_p=d12b27d6-0a90-4a73-9da3-4e84e7c49e87&pf_rd_r=5V8CG1FFRSQ8H36S56TC

Samstag, 1. Dezember 2018

Bruce Springsteen: Das half ihm beim Kampf gegen Depressionen


Rockstar und depressiv
Bruce Springsteen (69) sprach schon vor einiger Zeit offen über seine Depressionen. Von klein auf litt der Sänger an der psychischen Erkrankung. Zu Beginn seiner Karriere, als er das Solo-Album "Nebraska" aufnahm, hatte er sogar einen schweren Nervenzusammenbruch. Gegenüber "Esquire" verrät er nun, was die Krankheit wohl bei ihm auslöste und ihm beim Kampf dagegen half.


Bruce Springsteen: "Ich habe mich wie eine leere Hülle gefühlt"

Springsteen vermutet, seine psychische Gesundheit sei von der schwierigen Beziehung zu seinem Vater, Doug Springsteen, geprägt. Doug erkrankte an paranoider Schizophrenie, und bis zu seinem Tod litt er ebenfalls an Depressionen. Es war vor allem seine kühle, abweisende Art, die es seinem Sohn so schwer machte. Im Interview mit "Esquire" erinnert sich der Musiker daran, wie er sich früher fühlte: "Als ich ein Kind war und dann später ein Teenager, habe ich mich wie eine sehr, sehr leere Hülle gefühlt. Und erst als ich angefangen habe, sie mit Musik zu füllen, habe ich meine eigene Stärke und meinen Einfluss auf meine Freunde und die kleine Welt, in der ich mich befand, gespürt."

In der Leere hat es dem heutigen Rockstar geholfen, zu musizieren. "Ich habe begonnen, aus mir selbst einen Sinn zu ziehen", erinnert er sich. Auch wenn seine Kunst ihn nicht komplett heilen konnte, hat er gelernt, mit der Krankheit zu leben und seine Probleme zu bewältigen. "Ich habe mentale Krankheiten nah genug erlebt, weiß also, ich bin nicht komplett gesund. Ich musste über die Jahre mit vielem klarkommen, und ich nehme verschiedene Medikamente, die mich ausgleichen."

Quelle: https://www.vip.de/cms/bruce-springsteen-das-half-ihm-beim-kampf-gegen-depressionen-4258125.html

Wie Therapeuten ihre Patienten mit kurzen Briefen aus schweren Depressionen helfen

 

Es war noch dunkel draußen, als Amanda vom Klingeln ihres Weckers aufwachte, aus dem Bett aufstand – und dann beschloss, sich umzubringen. Doch sie tat es nicht. Nicht um 5.30 Uhr am Morgen an diesem Freitag. Sie beschloss, es nach der Arbeit zu tun.
Amanda ging unter die Dusche. Sie zog sich eine Khaki-Hose und einen Sweat-Pullover an. Dann fütterte sie Abby, ihre kleine Hauskatze. Bevor sie aus der Haustür ging, schickte sie ihrer Therapeutin eine Email:
“Es war keine gute Nacht, ich hatte einen verstörenden Traum. Ich werde versuchen, durch den Tag zu kommen. Ich hoffe, ich schaffe es, mich zu fokussieren. Mein einziges Ziel ist es, heute Abend nach Hause zu kommen und zu schlafen.”
Amanda war damals 29 Jahre alt, blass, dünn und arbeitete als Krankenschwester – eine ruhige Person, die sich an Regeln hält. Sie hatte an diesem Tag überlegt, ob sie sich krank melden sollte, aber sie wollte ihre Kollegen nicht verärgern oder Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Wie immer kam sie früher im Büro an als alle anderen. Sie brauchte immer ein bisschen Zeit, um alleine klarzukommen und sich nicht mehr unwohl zu fühlen. Weil sie unbedingt in dieser Klinik außerhalb von Seattle arbeiten wollte, hatte sie sogar eine Gehaltskürzung in Kauf genommen.

Die Widerstandsfähigkeit anderer Frauen inspirierte sie

Ihre Patienten waren meist einkommensschwache Mütter und Schwangere. Einige waren obdachlos, einige waren vor Männern geflohen, die sie misshandelten und missbrauchten.
Die Widerstandsfähigkeit der Frauen inspirierte Amanda, aber sie war auch ein wenig eifersüchtig auf diejenigen, die Antidepressiva gefunden hatten, die wirkten.
Dieser Tag, es war der 28. September 2007, war der erste, an dem sie sich ohne einen vorgesetzten Arzt um die Patientinnen kümmern sollte.
Allzu viel stand nicht auf Amandas Tagesplan. Sie musste drei, vielleicht vier Patienten betreuen. Sie maß ihren Blutdruck, checkte ihr Gewicht. Stellte ihnen die täglichen Standardfragen. Fragen danach, wann sie ihren letzten Rückfall hatten, danach, ob sie sich den neuen Kindersitz für ihr Kind leisten konnten, danach, ob sie eine Vorgeschichte psychischer Krankheiten hatten.
Amanda hasste diese Fragen. Sie selbst hätte diese Fragen nie beantworten. Sie waren zu intim, zu persönlich.

Keiner merkte etwas, sie hielt einfach die Fassade aufrecht

In einer Email, die sie ihrer Therapeutin einen Monat zuvor geschrieben hatte, gestand Amanda, dass sie gelegentlich versuche, eine “Maske der Normalität” aufzusetzen.
Immer wieder sagten ihr Patienten, wie optimistisch sie sei. Aber es gab da den großen anderen Teil, den sie alle nicht sahen, den sie versteckte:
“Der Teil, in dem ich aus dem Raum gehe, mich am Ende des Tages in mein Auto setze, tief durchatme und auf dem ganzen Weg nach Hause weine. Ich habe immer getan, was getan werden muss. Und wenn ich damit fertig war, konnte ich endlich alles rauslassen.”
Das erste Mal beschäftigten Amanda die Gedanken an Selbstmord kurz nach ihrem 14. Geburtstag. Ihre Eltern durchlebten gerade einen hässlichen Scheidungskrieg, als ihre soziale Angst und ihr Perfektionismus in der Schule sie zum ersten Mal aus der Bahn warfen.
Amanda war 20, als sie das erste Mal versuchte, sich das Leben zu nehmen. In den kommenden Jahren folgten einige weitere Versuche. Meistens versuchte sie es mit Tabletten vor dem Schlafengehen. Damit ihre Mitbewohner einfach denken würden, sie schlafe.

Sie verzweifelte daran, dass sie es nicht schaffte, sich das Leben zu nehmen

Aber sie wachte jedes Mal am nächsten Morgen wieder auf. Und verzweifelte daran, dass sie sogar dabei versagte, sich das Leben zu nehmen.
Sie wollte mit niemandem darüber sprechen. Für sie steckte hinter Selbstmordversuchen kein Hilfeschrei, sondern ein Geheimnis, das wohl behütet werden sollte.
Also schrieb sie lange nur Tagebuch. Doch irgendwann begann sie doch eine Therapie. Doch die war nicht sonderlich hilfreich. Zu oft stieß ihr Schmerz auf Ignoranz oder Schlimmeres.
In der Kirche sagte ihr eine Beraterin einmal, sie solle mehr beten, dann würden ihre Depressionen verschwinden. Ein Therapeut weigerte sich einmal mit ihr zu sprechen, wenn sie sich nicht komplett öffne. Sie ging und kam nie wieder. Die Schule, an der sie ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin absolvierte, zwang sie wegen ihrer Depressionen und ihren Angstzuständen, Urlaub zu nehmen. Es war ein weiterer Tag, an dem sie versuchte, sich umzubringen.

Ursula Whiteside war anders als alle anderen Therapeuten zuvor

Und dann traf sie irgendwann Ursula Whiteside. Sie war ganz anders, als alle anderen Therapeuten zuvor. Amanda war eine ihrer ersten Patientinnen.
Whiteside ist überaus sensibel. Sie erkannte, dass das bloße Sitzen im Wartezimmer Amandas soziale Angst schürte. Und sie verhielt sich unkonventionell. Mal machte sie während einer Sitzung einen Kopfstand, mal führte sie Amanda in ein Spielzimmer für Kinder, um die Atmosphäre aufzulockern. Und manchmal schaffte sie es, Amanda mit einem trockenen Witz, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Trotzdem gab es Sitzungen, die mit totaler Frustration endeten. Also beschlossen die beiden, dass sie zwischen den Terminen Emails austauschen. Immer, wenn sie sich schlecht fühlte oder etwas los werden wollte, schrieb Amanda Ursula eine Email. Meistens war das mitten in der Nacht. Mal waren die Mails kurz, mal länger. Am 26. August 2007 schrieb Amanda:
“Ich wollte dir erzählen, was am Wochenende passiert ist. Ich glaube, ich schaffe es nicht, es dir persönlich zu sagen. Ich habe das Wochenende überlebt. Das war wohl das Ziel. Am Freitag bekam ich Panik. Ich nahm zwei extra Pillen. Normalerweise nehme ich nur eine. Am Freitagabend nahm ich drei. Es war dumm. Ich wollte einfach nur schlafen. Es war dumm, weil es nichts bewirken würde. Ich bin gestern Abend zu meiner Freundin nach Hause gegangen. Sie hat mich beschützt, obwohl sie das nicht einmal weiß.”
Die Therapeutin antwortete oft mit vielen Ausrufezeichen und unterstrichenen Worten. Sie wusste, wie wichtig es war, optimistisch zu bleiben.
Aber dann, einen Monate später, erreichte die Therapeutin Amandas E-mail, die sie morgens vor der Arbeit geschickt hatte. Dieses Mal antwortete sie ihr einfach schnell zurück – ohne den sonst üblichen Schnickschnack.
Am Tag zuvor hatten sie sich gesehen und Amanda kam Ursula in der Sitzung verschlossener vor als sonst. Ursula spürte, dass es wichtig war, Amanda zu zeigen, dass sie mitfühlte. Deshalb schrieb sie:
“Wenn du vorhast, dich heute Abend oder am Wochenende umzubringen, muss ich das wissen.”
Sie schickte die Nachricht um 7 Uhr morgens. Dann wartete sie. 10 Uhr. 12 Uhr. 13.30 Uhr. Ursula rief ihren Vorgesetzten an, um zu überlegen, wie sie am besten vorgehen sollte.
Wenn ihr Instinkt richtig lag, sollte sie eine Polizeistreife bei Amanda vorbeischicken und würde ihr so womöglich das Leben retten.
Wenn sie sich irrte, könnte das all das Vertrauen zerstören, das sie zu Amanda in den vergangenen Monaten aufgebaut hatte.

Polizisten fanden die junge Frau erst nach Stunden

Amanda verließ um 16.30 Uhr die Arbeit und hielt in einer Apotheke, um ein Rezept einzulösen. Sie wollte sichergehen, dass sie genügend Antidepressiva hatte, um eine Überdosis nehmen zu können. Dann fuhr sie nach Hause, suchte andere Schlaftabletten zusammen, um alles miteinander vermischen zu können.
Auf Ursulas Nachrichten antwortete sie nicht. Sie schrieb auch keinen Abschiedsbrief. Als es dunkel war, zog sie sich ihren Pyjama an und putzte sich die Zähne. Sie atmete tief durch, schluckte eine Pille nach der anderen, dutzende, legte sich auf ihr Bett und schlief ein.
Ursula hatte indes viel Arbeit an diesem Tag, aber immer wieder kreisten ihre Gedanken um Amanda. Sie war sehr besorgt, sie hinterließ ihr immer wieder Sprachnachrichten, SMS, erzählte ihr, dass sie sich um sie kümmern würde, dass sie sich sicher war, dass die Therapie funktionieren würde. Am Abend rief sie schließlich die Polizei. Sie kannte das Risiko. Aber es war ihr inzwischen egal.
Als die Polizisten eintrafen, konnten sie Amanda nicht finden. Die Adresse, die Ursula hatte, war veraltet. Glücklicherweise kannte ein Nachbar eine Nummer von einem Freund Amandas. Doch der wollte ihre Adresse nur rausrücken, wenn er die Polizei persönlich treffen könnte. Wertvolle Zeit verstrich. Deshalb fanden die Polizisten die junge Frau erst Stunden, nachdem sie die Pillen geschluckt hatte. Aber sie lebte noch.

Menschen aller Altersklassen, Männer und Frauen wollen sich das Leben nehmen

Amanda wurde in die Notaufnahme gebracht, sie hatte einen Infusionsschlauch am Arm, eine Sauerstoffmaske über dem Gesicht. Sie war schwach, konnte kaum sprechen. Aber sie war physisch gesund. Aber psychisch nicht.
Nach ein paar Tagen wurde sie in einen anderen Teil der Klinik verlegt. Ein “Sitter” sollte sie beobachten, damit sie sich nicht selbst verletzte. Sie konnte nicht glauben, dass sie noch lebte. Sie hatte niemanden angerufen. Keine Freunde, keine Familienangehörigen. Ihr geistiger Zustand war noch immer derselbe. Amanda wollte noch immer sterben.
Überall auf der Welt wollen Menschen sterben. Allein in Deutschland haben sich 10.078 Menschen im Jahr 2015 das Leben genommen.
1980 lag die Suizidrate zwar noch bei über 18.000 im Jahr. Die Selbstmordrate ist zwischen 1995 und 2009 um 32 Prozent gesunken. Dennoch nehmen sich noch immer mehr Menschen selbst das Leben, als zusammengenommen in Deutschland in Verkehrsunfällen (3459), an HIV und Drogenmissbrauch sterben.
Betroffen sind Menschen in allen Altersklassen und jeden Geschlechts, Männer etwas häufiger als Frauen und überdurchschnittlich viele im Alter von 45 bis 65 Jahren.

Suizide lassen Angehörige und Bekannte traumatisiert zurück

Ein Selbstmord lässt Angehörige, Bekannte und Kollegen oft ratlos und verzweifelt zurück. Sie stellen sich Fragen, die sie eventuell den Rest ihres Lebens nicht mehr loslassen: “Warum habe ich nichts gemerkt? Hätte ich etwas tun können? Warum habe ich ihn/sie nicht gerettet? Wenn es doch nur eine Notiz, einen Abschiedsbrief gegeben hätte? Wenn ich doch nur mit der letzen Person sprechen könnte, die er/sie gesprochen hat.”
Julie Cerel ist Vorsitzende der American Association of Suicidology. Die Psychologin sagt:
“Auf einen Selbstmord folgen zusätzliche Traumata. Die Frage nach dem ‘Warum’, die Suche nach einer Bedeutung, einer Erklärung, wo es vielleicht keine gibt. All das kann sehr qualvoll sein.”
Cerel hat eine Studie veröffentlicht, in der sie darlegt, wie die Folgen eines Selbstmordes bis zu 135 weitere Menschen betreffen und traumatisieren können.

Viele Therapeuten sind mit suizidgefährdeten Patienten überfordert

Der Umgang mit Suizid beschäftigt die Medizin seit Jahrzehnten. In den 1950er Jahren wurden Hotlines ins Leben gerufen, Einzel- und Gruppentherapien entwickelt, aber auch bizarre Methoden wie Schocktherapien, Zwangseinrichtungen und Schlimmeres praktiziert und ausprobiert.
Auch heute noch wissen die meisten Experten für psychische Gesundheit kaum damit umzugehen, wenn ein suizidgefährdeter Patient ihre Praxis betritt.
Jeff Sung ist Psychiater und ein Kollege von Urusla Whiteside. Er arbeitet mit Hochrisiko-Patienten und bildet andere im Umgang mit ihnen aus. Er prangert an, dass viele Menschen, die psychiatrische Hilfe benötigen würden, keine bekommen:
“Du nimmst jemandem, dem es nicht gut geht, schaltest ihn ab und wirfst ihn in ein System, das von ihm ein hohes Maß an Problemlösungsfähigkeit und emotionaler Regulierung fordert.”
Ursula Whiteside will anders sein. Sie ist anders.
Sie ist verärgert darüber, mit wie viel Kälte viele ihrer Kollegen suizidgefährdeten Patienten begegnen. Sie fährt einen unkonventionellen Therapie-Weg. Sie kennt ihre Patienten. Sie weiß, wer sie sind.
Sie versteht, wie Selbstmordgedanken ihrer eigenen, verführerischen Logik folgen. Wie der Gedanke, dass Suizid Ausweg für ein Ende aller Schmerzen sein könne, Trost spenden könne. Sie versteht und sieht, wie und warum sich Menschen diesen Gedanken zuwenden, hingeben können, wenn sie in eine Krise geraten – auch wenn es nur eine kleine Krise ist, wie den Bus zu verpassen, um pünktlich in die Arbeit zu kommen.

Für Whiteside sind Selbstmordgedanken viel gefährlicher als Depressionen

Das, sagt sie, sei auch der Grund, weshalb selbstmörderische Gedanken und Triebe noch viel gefährlicher sind als Depressionen. Denn Menschen können den Tod als Antwort auf ein Problem verstehen.
Und sie weiß, dass viele ihrer Patienten diesen Gedanken niemals ablegen können.
Deshalb beschreibt sie ihren Beruf als einen endlosen Krieg.
Whiteside selbst wurde vor 40 Jahren in Colville in Wahsington geboren, als Kind von Eltern, die sehr abenteuerlich lebten, viel umherreisten und umzogen. Whiteside wechselte sieben Mal die Schule.
Sie merkte schon als Teenager, wie mitfühlend sie war und wie gut darin, anderen zu helfen. Aber sie hatte in der High School selbst mit ihrem Körperbild, Depressionen und Angstzuständen zu kämpfen. Sie fand es entsetzlich schwierig, über das zu sprechen, was sie erlebte, was sie fühlte. Die Idee, um Hilfe zu bitten, was “das Schrecklichste, was ich mir vorstellen konnte”, sagte sie.

Sie wollte ihre Verzweiflung verstehen

Eines Tages, als sie schon auf dem College war, schrieb sie ihrer Mutter – die ihren Bruder durch Selbstmord verloren hatte – einen langen Brief, in dem sie von ihren Höhen und Tiefen erzählte:
“Ich schreibe dir diesen Brief, weil es mir oft schwer fällt, laut auszusprechen, was ich meine. Ich bin nur ein Feigling.”
Sie wollte unbedingt die Mechanismen von Verzweiflung, von ihrer Verzweiflung verstehen. In ihrem Tagebuch schrieb sie:
“Alles, was ich tue, muss extrem sein. Ich erlebe Phasen, in denen ich mich selbst durch und durch liebe – dann erlebe ich andere, in denen ich nur an Messer und Brücken denken kann.”
Dann fing sie an, in ihrer Freizeit Bücher und wissenschaftliche Artikel über Psychologie zu lesen und war fasziniert von den praktischen Möglichkeiten, die eine Lösung für die hartnäckigsten Probleme des Lebens liefern konnten. “Ich besuchte meinen ersten Psychologiekurs und dachte mir ‘Oh mein Gott, du kannst die Dinge tatsächlich ändern. Es ist keine Magie’”, sagte sie später.
Sie besuchte Kurse von Marsha Linehan an der University of Washington. Die Psychologin ist eine Legende auf dem Gebiet der Suizidforschung und hat die Therapieform der Dialektischen Verhaltenstherapie entwickelt. Sie unterstützt Patienten dabei, ihre selbstmörderischen Impulse umzuleiten.

Whiteside konnte nicht aufhören, an ihre Patienten zu denken

Später machte Whiteside ein Praktikum in der psychiatrischen Abteilung des Harborview Medical Center in Seattle. Niemand nahm sich dort viel Zeit für die Patienten. Es ging viel mehr darum, sie zu stabilisieren, mehr nicht. Für mehr war anscheinend keine Zeit da.
Doch Whiteside nahm sich diese Zeit. Ein Patient von damals erzählte später:
“Keiner wusste, was er mit mir machen sollte. Aber Ursula war anders. Sie sah mich an und ich spürte, dass sie wirklich darauf wartete, dass ich ihr Antworten gab. Keine Antworten auf Fragen wie ‘Was sind deine Smymptome? Welche Medikamente nimmst du?’ Sondern sie sagte ‘Erzähl mir ein wenig von dir und deiner Geschichte’.”
Schon damals wusste Whiteside, dass Menschen, die das Krankenhaus nach einem Selbstmordversuch wieder verließen, ein hohes Risiko hatten, sich innerhalb der kommenden 90 Tage erneut selbst zu verletzen.
Und trotzdem wurden die Patienten nach Hause geschickt, bekamen Empfehlungen für andere Kliniken oder wurden auf Wartelisten von Therapeuten gesetzt, wo sie nie hingingen.
Whiteside konnte nicht aufhören, an ihre Patienten zu denken, wenn sie das Krankenhaus verlassen hatten. Also fing sie an, sie aufzuspüren und rief sie an, um zu sehen, ob sie Hilfe benötigten oder einfach nur, um sie wissen zu lassen, dass sie an sie dachte. Sie gab den Patienten ihre Telefonnummer, wenn sie das Krankenhaus verließen. Auf die Rückseite schrieb sie ihnen eine persönliche Nachricht. Sie tat alles, um sie an diese Welt und dieses Leben zu binden.
Aber es gab auch Rückschläge, Menschen die sie nicht mehr kontaktieren konnte, von denen sie irgendwann erfuhr, dass sie sich das Leben genommen hatten. Sie verzweifelte fast daran, trank einmal abends so viel Wein, dass es ihr egal war, ob sie jemals wieder aufwachen würde. Das machte ihr große Angst. Sie erkannte für einige Augenblicke, wie es sich anfühlte, selbstmordgefährdet zu denken, selbstmordgefährdet zu sein.

Sind kurze, einfache Briefe die Lösung?

Dann stieß sie auf die Arbeit eines schon lange pensionierten Psychiaters und Selbstmordforschers: Jerome Motto. Er war in der akademischen Welt nicht sehr bekannt, aber Whitesides Mentorin Marsha Linehan an der Universität war begeistert von ihm. Er war der einzige US-Amerikaner, der ein Experiment entwickelt hatte, in dem die Zahl von Selbstmorden unter gefährdeten Personen drastisch zurückgingen – schon Ende der 1960er Jahre.
Seiner Therapie und Technik liegt ein tausendseitiges Handbuch zugrunde. Doch im Endeffekt steckt dahinter eine simple Idee: Alles, was er im Grunde tat, war, gelegentlich Briefe an seine gefährdeten Patienten zu schreiben.
Als Whiteside das begriff, fing sie an zu weinen und dachte:
“Oh mein Gott. Was, wenn es das ist, was wir tun sollten? Was, wenn es so einfach ist?”
Der Gedanke hinter Mottos Methode wirkt fast lächerlich: Briefe, die einen Menschen aus einem so tiefen Abgrund zurückholen können? Es sind keine persönlichen Nachrichten, sondern elektronisch erstellte Serienbriefe.
Motto wollte, dass sie einfach und direkt sind, ohne medizinisches Fachjargon oder Forderungen wie ‘Du solltest wirklich versuchen, die Therapie wieder aufzunehmen’. Die Nachrichten sollten einfach ein Gefühl von Nähe vermitteln. So sollten klingen wie Nachrichten, die man einem guten Freund schicken würde.
Mottos erster Brief, den er an einen Patienten schickte, bestand nur aus zwei Sätzen, 37 Wörtern – die sich genau richtig anfühlten:
“Es ist schon eine Weile her, seitdem du hier bei uns im Krankenhaus warst und wir hoffen, dass es dir gut geht. Wenn du uns eine Nachricht zukommen lassen willst, freuen wir uns, von dir zu hören.”
Jedem Brief, den das Forscherteam um Motto verschickte, lag auch ein adressierter Rückumschlag bei – allerdings ohne Briefmarke. Damit sich niemand verpflichtet fühlte, unbedingt etwas zurückschicken zu müssen.
Die Briefe wurden an alle Patienten regelmäßig verschickt. In den ersten vier Monaten nach dem Verlassen der Klinik einmal im Monat, dann für die kommenden 8 Monate im zwei monatlichen Rhythmus und dann in den kommenden drei Jahren alle drei Monate. Sprich: Im Zeitraum von 5 Jahren wurden den Patienten 24 Mal dieser Brief geschickt.
Darin stand nicht immer dasselbe, aber sinngemäß war es immer eine kleine Erinnerung daran, dass das Team weiter an seine Patienten denke und zeigte, dass sie Interesse am Wohlbefinden ihrer Patienten hatten – und jederzeit offen waren, wenn jemand wieder den Kontakt aufnehmen wollte.

Irgendwann fingen die Patienten an zu antworten

Zwischen 1969 und 1974 befragten die Forscher von Motto mehr als 3000 Patienten. Und dann, nach einer Weile, zeigte das Experiment Wirkung. Die ersten Patienten schrieben zurück. Manche extrem kurz und zaghaft wie “Mir geht’s gut, danke.”
Andere waren mitteilsamer. Ein Patient bat um ein Rezept für Valium, eine andere bat um Hilfe bei der Suche nach einem neuen Zuhause für ihre Katze. Ein junger Mann befürchtete, nach Vietnam verschifft zu werden und hoffte, dass Mottos Team der Armee einen Brief schicken könnte, der seinen vorherigen Krankenhausaufenthalt bestätigte. “Ich würde lieber mein eigenes Leben nehmen, als das eines anderen zu zerstören”, schrieb er.
Andere bedankten sich bei Motto und seinem Team für die Erinnerung an sie und schrieben: “Ihr werdet nie wissen, wie viel mir eure kleinen Notizen bedeuten.”
“Bitte rufen Sie mich an, egal wie spät es ist. Ich liebe meine Kinder, aber ich brauche eine Pause. Ich denke, ich habe einen Nervenzusammenbruch”, schrieb eine Frau 1973.

Mottos Methode zeigte erstaunliche Erfolge

Ein Studienteilnehmer prägte sich besonders in Mottos Gedächtnis. Der Mann aus San Francisco beschrieb sich selbst in einem Brief als eine zerbrochene Vase, die nur von seinen eigenen Händen zusammengehalten werde. Sein Brief umfasste fünf Seiten und las sich, als hätte es den Mann Tage gekostet, die Worte zu finden. Er begann mit dem Satz:
“Du bist der hartnäckigste Hurensohn, dem ich jemals begegnet bin, also muss dir wohl wirklich etwas an mir liegen.”
Für Motto brachte das das Ziel seiner Studie auf den Punkt. Er nannte ihn den “Bingo-Brief”.
Nach vier Jahren hatten Motto und sein Team ausreichend Daten gesammelt, um ihre Arbeit auszuwerten. Und das Ergebnis war erstaunlich. Ihr Erfolge waren in der Geschichte der Suizidforschung beispiellos. Die Selbstmordrate der Kontrollgruppe war nach den ersten beiden Jahren Klinik-Aufenthalt doppelt so hoch, wie die derjenigen, die von Mottos Team mit Briefen kontaktiert worden waren.
Es war das erste Experiment, dass es geschafft hatte, die Selbstmordrate zu senken. Und, Motto hatte auch etwas anderes bewiesen: Menschen, die versucht hatten, sich das Leben zu nehmen und nichts mehr mit dem Gesundheitssystem zu tun haben wollten, waren dennoch weiter erreichbar und zugänglich.

Whiteside erkannt schnell die Macht ihrer Nachrichten

Auch Whiteside schickt ihren Patienten Nachrichten, auch wenn sie persönlicher und weniger geradlinig sind, als die von Motto. Einer Patientin fiel es schwer, morgens aufzustehen. Also schickte ihr Whiteside regelmäßig lustige Tier-Gifs wie “Hier kommt die magische Guten-Morgen-Ziege, die diesen Tag weniger baaah macht” oder “Dieses Kaninchen braucht Nahrung. Nur du kannst es füttern und musst aufstehen”.
Da Motto zu seinen Lebzeiten wenig mit seiner Arbeit hausieren ging, war seine Forschung über die Jahre fast in Vergessenheit geraten. Doch auch wenn die Nachrichten anders sind als die von Motto, nutzt Whiteside seine Grundidee und seine Erkenntnisse – mit Erfolg.
Vor vier Jahren hatte sie damit begonnen, ihren Patienten diese Nachrichten zu schicken und merkte schon bald, wie mächtig ihre Wirkung ist. Die Nachrichten sind wie ein Beweis dafür, dass es eine echte Beziehung zwischen ihr und den Patienten gibt. Ein Beweis, an dem sich viele festhalten, weil er ihnen zeigt, dass es jemanden gibt, der sich um sie sorgt, sich um sie kümmert.
Mit der Zeit hat Whiteside ein paar Regeln entwickelt: Nachrichten bekommt nur, wer dem zustimmt. Niemand muss zurückschreiben. Wenn die Patienten zurückschreiben, müssen sie verstehen, dass Whiteside nicht immer sofort antworten kann, denn manchmal ist sie unterwegs, in einer Sitzung, beim Mittagessen. Auch verlangt sie von ihren Patienten Feedback und, dass sie ihr sagen, welche Nachrichten ihnen gefallen und welche nicht.

Auf der ganzen Welt nutzen Wissenschaftler die Methode

Auch für sich selbst hat sie Regeln aufgestellt: Tippfehler sind okay. Ein wenig genervt zu sein, ist okay. Jeder Text sollte zum Verfassen nicht mehr als 90 Sekunden benötigen. Denn alles, was sich länger liest, könnte zu sehr bearbeitet wirken und weniger wie eine Nachricht unter Freunden. Auch achtet sie darauf, nicht nur dann zu schreiben, wenn sie das Gefühl hat, ein Patient stecke in einer Krise. Der Grund für eine Nachricht soll einfach nur sein, dass sie gerade an jemanden gedacht hat. Whiteside sagt:
“Ich glaube, Menschen sterben, wenn sie sich komplett alleine fühlen.”
Inzwischen sind auch einige andere auf Mottos und auch Whitesides Ansatz aufmerksam geworden – zum Beispiel Gregory Carter, ein Psychiater aus Australien, Hossein Hassanian-Moghaddam, ein Wissenschaftler aus Teheran, Kate Comtois, eine Suizid-Forscherin aus Seattle oder das Team um die Klinikgründer Konrad Michel und Anja Gysin-Maillart in Bern.
In Bern beispielsweise konnten die Wissenschaftler ein um 80 Prozent reduziertes Suizid-Risiko bei Patienten verzeichnen, die nach einem Klinik-Aufenthalt über Monate und Jahre Briefe und Nachrichten erhielten.
Eine der Patienten dort, die Studentin Anna, erzählt, dass sie sich komplett verloren in der Welt gefühlt habe, bevor sie in die Klinik gekommen war.

Anna vertraut in den Briefen viel mehr an, als sie ihren Freunden und ihrer Familie anvertraut

Ihre Antworten auf die Nachrichten von Therapeutin Gysin-Maillart wurden immer länger. Sie schreibt, wie schwer es ihr fällt, sich wieder in den Alltag zu fügen, wie ihre Freunde sie nicht verstehen und warum sie nicht weinen kann. Und, dass sie mit dem Rudern angefangen hat, um damit fertig zu werden:
“Rudern auf dem Rhein, wenn alles noch ruhig und ungestört ist und der Nebel über dem Wasser liegt und die Sonne sich langsam aufzuwärmen beginnt, der leise Schlag der Ruder und das Rauschen des Wassers um mich herum – all das gibt mir ein unbeschreibliches Gefühl.”
Anna erzählt Details aus ihrem Alltag und ihrem Innersten, die sie weder mit ihrem Therapeuten noch mit ihrer Mutter – zu der sie eine innige Beziehung hat – teilen wollte. Für Anna wurde Gysin-Maillart zum Hüter all ihrer Geheimnisse. Sie schrieb Gysin Maillart einmal:
“Ich habe deinen Brief bekommen und wollte ihn eigentlich gar nicht öffnen, weil ich das freudige Gefühl, das mich überkommt, wenn ich einen Brief bekomme, nicht zerstören wollte.”
Auch als Anna irgendwann nicht mehr weiter wusste und erneut mit dem Gedanken spielte, sich das Leben zu nehmen, tat sie, was sie schätzen gelernt hatte. Sie begann, Gysin-Maillart eine Email zu schreiben. Genau so, wie sie es in früheren Briefen getan hatte, schüttete sie all ihre Gedanken aus.
Aber als sie fertig war, wurde ihr klar, dass sie die Nachricht nicht einmal abschicken musste. Es genügte schon, die Zeilen zu schreiben.
Und Amanda?
Amanda stimmte einem Treffen mit uns und Whiteside zu. Wir trafen uns vor dem Büro der Therapeutin. Die Silhouette von Amanda tauchte im Dämmerlicht auf der Straße auf, sie begrüßte uns mit einer Stimme, so leise, dass man sie kaum verstehen konnte. Seit zwei Jahren hatte sie keine Therapie-Sitzungen mehr bei Whiteside. Aber die beiden sind weiterhin in Kontakt.
Ich fragte Amanda, wie es für sie war, als sie Whiteside zum ersten Mal begegnete.
Die zierliche Frau sagte: “Ich dachte, sie sei naiv. Alle anderen, mit denen ich gearbeitet hatte, wirkten überfordert und verängstigt und frustriert. Ich sorgte mich immer, ob ich zu viel für sie sei.”
“Ich verstand, dass du dich so gefühlt hast. Ich glaube, wenn es irgendetwas gab, dann zweifelte ich an meinen Fähigkeiten”, entgegnete Whiteside.
“Selbstmord fühlte sich immer wie mein Problem an. Alle gaben mir die Schuld dafür und ich musste das Problem in Ordnung bringen”, erinnerte sich Amanda.

Worte können eine Chance sein, jemanden zu retten

“Glaubst du, du konntest spüren, dass ich mich um dich sorgte, mich um dich gekümmert habe? Oder konntest du es nicht glauben?”, fragte Whiteside.
Amanda zögerte und hielt inne. Das einzige Geräusch in diesem Moment im Raum war die Kordel der Jalousien, die gegen das Fenster klickte. 15 Sekunden vergingen.
“Ich dachte, du sorgst dich um mich, so wie sich ein Lieferant um seine Kunden sorgt”, beantwortete Amanda schließlich Whitesides Frage.
“Hat sich das irgendwann geändert? Oder war das...” Whiteside stockte. “Du kannst definitiv nein sagen.”
“Ich glaube, mein Kopf sagte mir, ich müsse einfach weiter daran denken ‘Sie ist nicht meine Freundin, sie ist meine Therapeutin’. Ich denke, es hätte es härter gemacht, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass es keine Grenze gibt”, sagte Amanda.
Dann suchte Whiteside nach den Mails von damals, dem Tag im September 2007, als sich Amanda das Leben nehmen wollte. Die beiden lasen die Nachrichten, Whiteside überlegte, was sie heute anders formulieren, anders machen würde. Dann kamen Amanda die Tränen.
Sie wusste keine Antwort darauf, was sie hätte aufhalten können, die Pillen zu schlucken. Aber irgendwann sagte sie, vielleicht habe sie darauf gewartet, dass sie einfach jemand mit den richtigen Worten erreichte. “Ich glaube, das hätte meine Meinung ändern können.”

Quelle: https://www.focus.de/panorama/welt/good-depression-therapeutin-bewahrt-menschen-mit-briefen-davor-sich-umzubringen_id_10000554.html