Montag, 24. September 2018

Depressionen - ein Überblick zum Thema


Ein Interview mit Frau Dr. Susanne Stuppi- Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie

 „Stell dich nicht so an! Reiß dich mal zusammen! Du bist selbst schuld, du musst es nur wollen!“ Diese Aufforderungen müssen sich Depressions- Erkrankte zu genüge anhören.
Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Pessimismus. Schlafstörungen, ein geschwächtes Immunsystem und erhöhter Genussmittelkonsum, das sind psychische und physische Anzeichen einer Depression. Die Ursachen dafür reichen von übermäßigem Stress oder Schicksalsschlägen, über Probleme in Berufs- und Privatleben, bis hin zu Stoffwechselstörungen und ernsthaften Krankheiten.
 Wir durften uns mit Frau Dr. Susanne Stuppi, Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie in St. Wendel, über diese ernstzunehmende Erkrankung unterhalten.


Frau Dr. Stuppi, wie würden Sie vereinfacht beschreiben, was eine Depression ist?
„ Am einfachsten ist es dies an einem Beispiel zu erklären. Vera ist seit einem längeren Zeitraum niedergeschlagen, ihre Stimmung ist deutlich gedrückt und sie ist sehr oft müde. Den Antrieb für ganz alltägliche Dinge wie Einkaufen gehen, soziales Miteinander, Hobbys und andere schöne Dinge im Leben, hat sie gänzlich verloren. Darüber hinaus treten bei ihr verschiedenste körperliche Beschwerden auf. Sie ist in ihrer gesamten Lebensführung beeinträchtigt. Die Alltagsbewältigung gelingt ihr nur schwer, sie leidet an starken Selbstzweifeln, Schuldgefühlen, Ängsten und Konzentrationsstörungen. Sie neigt immer wieder dazu scheinbar endlos zu grübeln. Das Schlimmste ist, dass sie kaum Gefühle mehr empfindet. Keine Trauer, keine Liebe, keine Freude. Ihr sexuelles Verlangen ist vermindert und sie steht unter einem hohen Leidensdruck. Ihre Erkrankung, die Depression, beeinflusst ihr Selbstwertgefühl und ihr Wohlbefinden in zentraler Weise.
Es existieren nicht viele andere Krankheiten, deren Leidensdruck die Betroffenen so häufig zur Selbsttötung treiben. Auch die Lebenserwartung ist um circa 10 Jahre gesenkt.
Die Depression ist oft weiblich, die Diagnose wird drei Mal so oft bei Frauen, als bei Männern, gestellt. Möglicherweise, weil Frauen häufiger erkrankt sind, aber auch, weil sich diese eher professionelle Hilfe suchen als Männer, dies bestätigen auch meine Erfahrungen.“


Welche verschiedenen Arten von Depressionen gibt es?
„Die Diagnose richtet sich nach den ICD-10 Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und kann nur gestellt werden, wenn aus einer Reihe von Symptomen mehrere Krankheitszeichen für eine Dauer von über 2 Wochen vorliegen.Man unterscheidet unter anderem zwischen leichten, mittelgradigen und schweren depressiven Episoden. Diese Episoden können sogar mit einer wahnhaften Symptomatik einhergehen. In diesen Fällen müssen sich die Betroffenen fast ausnahmslos in stationäre Behandlung begeben, da sie in der Regel in hoher Weise suizidgefährdet sind.
Je nach Ausprägung unterscheiden wir gehemmte Depressionen, bei denen Betroffene verlangsamt, schweigsam und verzögert handeln und agitierte Depressionen, bei denen die Betroffenen sehr ängstlich agieren, unruhig und rastlos sind. Darüber hinaus steht bei den larvierten Depressionen die Depression unter einer Art „Larve“ körperlicher Beschwerden.


Wie wirkt sich eine Depression körperlich aus?
Körperliches und psychisches Befinden ist eng miteinander verknüpft. In Zusammenhang mit Depressionen kann eine Vielzahl körperlicher Symptome auftreten.Die krankheitstypische innere Anspannung verursacht auch Verspannungen der Muskulatur, die zu Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen führen. Der Dauerstress fördert Herzrasen, Herzstechen und ein Beklemmungsgefühl in der Brust. Häufig bestehen Verdauungsstörungen mit Übelkeit, Blähungen, Verstopfung sowie Appetitverlust, es kommt oft zu einem auffälligen Gewichtsverlust.
Wenn die Seele belastet ist, geht der Antrieb schnell verloren. Als Folge dessen, bewegen sich Betroffene oftmals viel weniger, gehen selten raus und kümmern sich weniger um ihre Erkrankungen. Die Beschwerden können so stark sein, dass manche Patienten erst nach langen Voruntersuchungen und Krankenhausaufenthalten, zum Beispiel in internistischen Fachabteilungen, zum Psychiater kommen.“


Was sagen Sie dazu, dass viele Menschen der Meinung sind, dass die Krankheit „Depression“ de facto nicht existiert, sondern lediglich eine negative Verstimmung ist, unter der jeder mal leidet ?
Die Existenz dieser anerkannten Erkrankung lässt sich aus fachlicher Sicht keinesfalls leugnen. Eine Depression ist keine Befindlichkeitsstörung, ein schlechter Tag ist keine Depression.
Die organische Grundlage der Depression sind Störungen der Hirnaktivität, wobei nicht alle Details geklärt sind. Die Hauptursache liegt in der Veranlagung, aber auch schwere Lebensbelastungen und Traumata können Depressionen auslösen.
Leider wird der Begriff der Depression häufig missbräuchlich oder nachlässig verwendet. Die Einschränkung der Lebensqualität in Zusammenhang mit der Depression ist sehr weit reichend, sowohl für die Patienten, als auch für die Angehörigen. Meist verläuft eine Depression in Form einer langsamen und schleichenden Entwicklung, sie kann Wochen bis hin zu Monaten dauern, im Durchschnitt circa 4 bis 6 Monate. Es können Wiederholungsphasen auftreten, mitunter auch erst nach Jahren. Seltener entwickeln sich auch chronische Formen, die zwar weniger stark ausgeprägte Symptome zeigen, aber das Leben in gravierender Weise beeinträchtigen, die sogenannte Dysthymie.“
Ich denke, dass es ein allgemeines Problem ist, dass seelische Erkrankungen häufig nicht ernst genommen werden, weil sie nach außen hin nicht sichtbar sind. Oft denken die Betroffenen selbst, dass sie sich nur zusammenreißen müssten.
Wenn jemand im Krankhaus liegt, weil er körperliche Beschwerden hat, wird dies akzeptiert und anerkannt. Der Mensch ist körperlich krank und er muss unter ärztlicher Betreuung stehen, damit er bald wieder gesund ist. Wenn sich aber ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung in stationäre Behandlung begibt, kann es vorkommen, dass seine Probleme von Außenstehenden nicht ernst genommen werden.


Denken Sie, dass depressive Menschen häufig diskriminiert werden?„Ich denke, dass diese Annahme leider wahr und teilweise immer noch weit verbreitet ist.
Im Jahr 2010 wurden knapp 1100 Patienten aus 53 Ländern im Zuge des „Anti Stigma Programm European Network“ (ASPEN) interviewt. Die Betroffenen wurden im persönlichen Gespräch speziell zum Thema „Stigmatisierung und Diskriminierung von Patienten mit mentalen Störungen“ befragt.

Die Ergebnisse waren eindeutig. Knapp 80 Prozent der Befragten waren schon mehrfach Opfer von Diskriminierungen aufgrund ihrer psychischen Erkrankung geworden. Etwa drei Viertel der Patienten verheimlichten ihre Erkrankung, aus Sorge vor Diskriminierung.
Mehr als ein Drittel erklärte, dass sie wegen ihrer Depressionen gemieden wurden und aufgrund wiederkehrender Zurücksetzungen davon Abstand nahmen, enge persönliche Beziehungen einzugehen.
Ein Viertel der Befragten teilte mit, dass sie die starke Diskriminierung schon davon abgehalten habe, sich um einen Arbeitsplatz zu bewerben. Viele scheuen sich deswegen immer noch, sich in Behandlung zu begeben.


Können Kinder auch Depressionen bekommen?
Ja, auch Kinder und Jugendliche können eine Depression haben. Schon Vierjährige können auf schwierige Lebensumstände depressiv reagieren. Das bedeutet aber nicht, dass jedes Kind mit den typischen Symptomen auch tatsächlich eine Depression haben muss. Ich persönlich habe einen 7-jährigen Patienten mit den typischen Symptomen einer schweren Depression erlebt, häufiger sind Depressionen aber im Jugendalter.
Die Ursache für eine frühe depressive Episode ist, wie bei Erwachsenen, oft ein Zusammenspiel von genetischen Komponenten und Ereignissen im Umfeld. Mobbing, Überforderung in der Schule und Trennung oder Erkrankung der Eltern können Beispiele für Auslöser sein.“


Sind Medikamente Ihrer Meinung nach zwingend notwendig?
Medikamente gehören zu den Behandlungsmöglichkeiten, sind jedoch nicht immer zwingend notwendig. Mit Hilfe der heutigen, spezifischeren Diagnose ist eine Verbesserung der Behandlungssituation eingetreten. Die Diagnose „Depression“ wird häufiger gestellt, was nicht gleichzeitig bedeutet, dass die Depression häufiger als früher vorkommt. Früher versteckte sich die Diagnose oft hinter den oben beschriebenen Symptomen.
Heute wird somit mehr und zielführender behandelt. Die Zahl der Verschreibungen für Antidepressiva und Psychotherapie sind in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Gleichzeitig ist die Anzahl der Suizide fast um die Hälfte gesunken. Ein deutlicher Beleg für den Erfolg von Aufklärung, Offenheit und Behandlung.“


Wie kann man diese Krankheit am besten bekämpfen? Was raten Sie Betroffenen?
Depressionen sind häufig. Sie belasten den Menschen und die Gesellschaft. Es ist wichtig früh zu handeln. Gute Ratschläge und Aufmunterungsversuche oder gar Vorwürfe reichen nicht aus.
Die Diagnose zu stellen, ist bedeutsam, da gute Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Neben Medikamenten, sogenannten Antidepressiva, die weder süchtig machen, noch die Persönlichkeit verändern, können mit bestimmten psychotherapeutischen Verfahren, vor allem der kognitiven Verhaltenstherapie, den meisten Patienten geholfen werden.
Mit neuen Medien werden derzeit verschiedene Therapiekonzepte via Internet und Telemedizin entwickelt, die durchaus erfolgversprechend sind. Zum Beispiel das Programm „iFightDepression“, Tool der deutschen Depressionshilfe, das kostenfrei zur Verfügung steht und zur Verbesserung der Selbsthilfe eingesetzt wird. Weitere seltenere Verfahren werden im Einzelfall angewendet, wobei dies im Rahmen stationärer Behandlungsmöglichkeiten erfolgt.“


Wir hoffen, dass wir den einen oder anderen Leser für dieses Thema sensibilisieren konnten.
Wir wünschen Betroffenen den Mut zu ihrer Erkrankung zu stehen und fachmännische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
„Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben.“[Indianische Weisheit]


Quelle: https://wndn.de/depressionen-wenn-schatten-auf-der-seele-liegen-ein-interview-mit-frau-dr-susanne-stuppi/