Samstag, 13. Oktober 2018

Krank durch Selbstoptimierung


Exzessive Selbstoptimierung! Habe den Begriff heute zum ersten Mal gehört und muss sagen: Da hat sich jemand Gedanken gemacht zum Thema. Dieser Begriff bringt das Thema Burnout / Depression unglaublich treffend auf den Punkt. An sich selbst arbeiten ist gut, aber die Grenz was gut und gesund ist wird sehr häufig überschritten:

Schöner, gesünder und glücklicher: Für viele Menschen ist Selbstoptimierung zum Lebensinhalt geworden. Doch das permanente Streben nach Perfektion kann krank machen. Von Kristina Bräutigam
Professor Ulrich Stangier, Leiter des Instituts für Psychologie der Uni Frankfurt, spricht im EXTRA TIPP über die Gefahren des Selbstoptimierungswahns.
 
Wenn jemand morgens meditiert, regelmäßig fastet, nur Kleidung aus Bio-Baumwolle trägt und seinen Schlaf via App überwacht: Ist das lobenswert oder krank?
 
Wenn jemand die Chance ergreift, an sich zu arbeiten, beispielsweise abnimmt, um gesünder oder attraktiver zu sein, ist das etwas Gutes. Der Antrieb, Ziele zu erreichen, ist ein Grundmerkmal des Menschen. Ein anderer Antrieb ist das Bedürfnis nach Selbstwert. Unter Selbstoptimierung versteht man die übertriebene oder exzessive Form der Übung beziehungsweise des Trainings, um den Wert des Selbst zu steigern. Die eigene Person wird zum Objekt, das verändert werden muss, um ihm den maximalen Wert zu verleihen.
 
Besonders beim Essen kennt der Selbstoptimierungswahn keine Grenzen. Wie erklären Sie sich, dass immer mehr Menschen strikt vegan essen, Kohlenhydrate meiden oder sogar nur noch rohes Gemüse verzehren?
Essen ist eine Verhaltensgewohnheit, die sich relativ leicht beeinflussen lässt, deshalb werden hier Motive am deutlichsten. Zwanghaft werden Essgewohnheiten, wenn die Betroffenen in rigider Weise überzogene Vorstellungen umsetzen, beispielsweise glauben, dass schon geringe Mengen bestimmter Nahrungsmittel krank machen. Allerdings ist vegane Esskultur nicht per se zwanghaft, schließlich kann man sich auch aus einem Gesundheitsbewusstsein, aus weltanschaulichen oder politischen Gründen vegan ernähren.
 
Die Buchhandlungen sind voll mit Ratgebern, die erklären, wie man glücklicher wird. Woher kommt dieser Wunsch, sich selbst zu optimieren?
Viele Jahre hatte die Selbsthilfeliteratur als Ziele Fitness, Gesundheit, Schönheit, Leistungsfähigkeit und Effizienz. Heute sind andere Werte wichtig. Es geht plötzlich um Entspannung, Selbstbestimmung und Glück, also humanistische Ideale. Ein wesentliches Merkmal der Selbstoptimierung ist allerdings der Egozentrismus: Das Individuum wird völlig in den Vordergrund gestellt.
Aber ist es denn nicht erstrebenswert, die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen?
Man muss unterscheiden zwischen einem gesunden Narzissmus, also die Zuneigung zur eigenen Person, und einem pathologischen Narzissmus. Diese narzisstische Betonung der eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten, Leistungen und des Aussehens nimmt zu. Eine entscheidende Rolle spielen die sozialen Medien. Beliebt zu sein ist das oberste Ziel, die Zahl der Freunde und Likes auf Facebook oder Instagram bestimmen den Wert. Bestes Beispiel sind die Influencer. Diese Menschen stellen ihr vermeintlich perfektes Leben zur Schau, um Follower zu bekommen und Geld zu verdienen.
 
Gibt es Menschen, die besonders anfällig ist, in die Selbstoptimierungsfalle zu tappen?
Selbstoptimierung ist häufig ein Versuch, einen vermeintlichen Mangel an Selbstwert durch besondere Leistung zu kompensieren. Insofern kann ein mangelndes Selbstwertgefühl die Anfälligkeit für Selbstoptimierungstendenzen erhöhen. Das gilt gleichermaßen für das Selbstwertgefühl von Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die an sich den Anspruch erheben, etwas Besonderes zu sein. Aber auch Perfektionisten tendieren oft dazu, ihre hohen Standards durch ein hohes Engagement zu verwirklichen. Oft ist der Auslöser ein belastendes Lebensereignis, das die gewohnten Abläufe verändert, beispielsweise eine Trennung oder Kündigung. Diese Ereignisse bedrohen das Selbstwertgefühl. Die Selbstoptimierung ist ein Versuch, diese innere Bedrohung abzuwehren.
Welche Auswirkungen hat es, wenn die Eltern Selbstoptimierung vorleben, den Kindern beispielsweise einen bestimmten Ernährungsstil vorschreiben?
Rigide Regeln enthalten für Kinder häufig implizit die Botschaft, dass negative Konsequenzen eintreten, wenn man sich nicht daran hält. So können Kinder Krankheitsängste entwickeln, wenn die Eltern bestimmte Ernährungsweisen und das Thema Gesundheit überbewerten. Die Werte und Motivationen von Kindern werden oft durch Perfektionismus in der Familie nachhaltig geprägt, egal ob es um Aussehen, Gesundheit, Leistung oder soziale Normen geht. Lehnt sich das Kind in der Pubertät nicht auf, prägt dies die weitere psychische Entwicklung.
Am Institut für Psychologie der Uni Frankfurt behandeln Sie Patienten, die Selbstoptimierung unglücklich gemacht hat. Welche Folgen hat das grenzenlose Streben nach Verbesserung für die Betroffenen?
 
Die Betroffenen leben nicht mehr im Augenblick, sie verlieren die Fähigkeit, zu genießen und loszulassen, sei es beim Essen, bei Sexualität oder der Freizeitgestaltung. Der gesamte Alltag ist sehr einseitig und wird von der Angst beherrscht, an den eigenen Zielen zu scheitern. Die Betroffenen ziehen sich aus sozialen Kontakten zurück oder meiden Situationen, weil sie nicht mehr flexibel auf andere Menschen eingehen können. Spätestens wenn jemand psychisch oder sozial stark eingeschränkt ist, zum Beispiel den Beruf aufgibt, ist die Grenze zur Entwicklung einer psychischen Störung überschritten. Exzessive Selbstoptimierung führt immer in eine Sackgasse, die Depression.
Merken die Betroffenen, dass sie Hilfe brauchen?
Die Folgen von exzessiver Selbstoptimierung können gravierend sein, ohne dass der Betroffene den Zusammenhang sieht oder einen Leidensdruck äußern. Denn der Lebensstil wird meist weiterhin als positiv bewertet.
Wie gelingt der Weg raus aus der Selbstoptimierungsfalle?
Ein wichtiger Schutz ist die Einsicht, dass es schädlich ist, den Wert der eigenen Person von dem Erreichen von Zielen abhängig zu machen. Natürlich sind Attraktivität, Leistung, Gesundheit erstrebenswert. Aber Glück abhängig zu machen vom Erreichen eines Ziels, macht unglücklich. Unglücklichsein, Leiden und Schmerz als Begleiter des Lebens zu akzeptieren, ist ein wichtiger Schritt, auch die positiven Seiten des Lebens zu erfahren.
 
Quelle: https://www.extratipp.com/hessen/exzessive-selbstoptimierung-fuehrt-immer-depression-10315268.html