Mittwoch, 28. November 2018

Was es heißt, wenn der Partner an Depression erkrankt



Eine Studie zeigt, wie die Krankheit Beziehungen belastet. Experten betonen: Niemand hat Schuld – und professionelle Hilfe ist nötig.

Sibylle Hauck wusste längst, dass ihr Mann schwer krank ist. Er hingegen brauchte sogar nach seinem Suizidversuch noch Wochen, bis er es endlich akzeptieren konnte. Der 51-Jährige aus Schwäbisch-Hall hatte es nicht anders gelernt: Psychisch krank zu sein war etwas Peinliches. Bei seinen Eltern wurde über das „Irrenhaus“ in der Gegend gewitzelt.
Nun befand er sich plötzlich an eben diesem Ort, weil er die seelischen Schmerzen nicht mehr ausgehalten hatte, im Februar 2015. Zwei Zusammenbrüche in den Jahren zuvor hatte er für sich als Burnout verbucht. Burnout war okay, eine Diagnose, mit der er umgehen konnte. Aber eine schwere, wiederkehrende Depression, dazu Angststörungen?

Inzwischen hat Uwe Hauck seine Erkrankungen nicht nur akzeptiert. Er und seine Frau gehen bewusst in die Öffentlichkeit. Als Paar. Sie wollen mit ihrer Geschichte für das Thema sensibilisieren. Die Hälfte der an einer Depression Erkrankten erlebt Probleme in der Partnerschaft, davon 45 Prozent sogar eine Trennung. Das zeigt das zweite „Deutschland-Barometer Depression“, eine aktuelle Studie der Deutschen Depressionshilfe und der Deutschen Bahn Stiftung. Schwerpunkt der repräsentativen Befragung war die Auswirkung der Krankheit auf soziale Beziehungen.
 

„Erkrankte lassen sich nicht einfach nur gehen“

Knapp drei Viertel (72 Prozent) der Betroffenen empfinden demnach während einer Depression keine Verbundenheit zu anderen Menschen. Und 73 Prozent der Befragten, deren Partner an einer Depression erkrankt war, entwickelten Schuldgefühle und fühlten sich sowohl für die Erkrankung als auch für die Genesung verantwortlich.
 
Auch Sibylle Hauck suchte anfangs die Schuld bei sich. Ihr Mann war offen und fröhlich gewesen, als sie vor 23 Jahren ein Paar wurden. Mit der Zeit veränderte er sich, wirkte abwesend, wurde gereizt. Und behauptete gleichzeitig immer wieder, dass alles in Ordnung sei. Was also machte sie falsch?
„Man ist als Partner nicht schuld, dass der andere depressiv ist, und man ist auch nicht verantwortlich dafür, ihn da rauszuholen“, betont Professor Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Deutschen Depressionshilfe. „Es ist eine Erkrankung wie andere auch, und für Diagnose und Behandlung sind zunächst einmal die Ärzte zuständig.“ Zu wissen, dass der andere sich nicht einfach nur „gehen lässt“, und dass nicht man selbst, sondern die Krankheit die Schuld trägt, sei elementar wichtig für Angehörige.
Das Familienleben um den Depressiven herumgebaut
Eine Depression ist nichts Exotisches. Fast jede vierte Frau und jeder achte Mann erkrankt der Stiftung zufolge im Laufe des Lebens an einer Form davon. Und all diese Erkrankten sind mit anderen Menschen verbunden. Partner, Familie, Freundinnen – die oft nicht wissen, was los ist, oder wie sie helfen können. „Einfach nur zu signalisieren, ich bin da, wenn du mich brauchst, das hilft“, sagt Uwe Hauck.
Sibylle Hauck hat allerdings noch viel mehr gemacht, und vieles davon, ohne es zu merken. Heute weiß sie: Sie und ihre drei Kinder hatten ihr Leben der Depression des Vaters vollkommen angepasst. Lange bevor sie wussten, dass er krank war. Die Kinder, heute 19, 16 und 14 Jahre alt, wuchsen in der selbstverständlichen Annahme auf, er müsse geschont werden. Alltagslasten hielten sie von ihm fern, denn er reagierte meist gereizt, war nicht richtig anwesend, hatte kein offenes Ohr für die Sorgen der Kinder und keine Kapazitäten, ihnen zu helfen. „Wir haben unser Leben um ihn herum gebaut“, sagt die 47-jährige Frau.
Er hielt sich lieber für charakterschwach als psychisch krank
Die Familie ist immer noch dabei, diese alten Muster aufzubrechen. Zu lernen, dass der Vater Teil der Familie sein will, nicht mehr der Geschonte in der Ecke. Dreieinhalb Jahre nach dem Suizidversuch, 15 Jahre nach einem Entwicklungsgespräch mit seinem Vorgesetzten, bei dem Uwe Hauck unerwartet negative Rückmeldung bekam.
Es gilt der Familie heute als Beginn der Abwärtsspirale. Am Anfang sei es langsam gegangen. Er litt an der Arbeit und am Leben, aber erklärte sich lieber selbst für einen schwachen Charakter als für krank. Die wiederkehrende Depression hat er, wie er inzwischen weiß, seit Jugendzeiten. Sie fühlte sich für ihn an wie ein Teil seiner Persönlichkeit.
2010 hatte er seinen ersten Zusammenbruch: „Ich saß vor dem Computerbildschirm und habe plötzlich nicht mehr verstanden, was ich da sehe“, sagt er. 2013 geschah es wieder, und diesmal sagte der Arzt: Zeit für eine Psychotherapie. „Da fing die Suche nach einem Therapeuten an, und ich fand auch einen, aber der hatte erst in einem Jahr einen Platz frei“, erzählt er.
Lange Wartezeiten bei Psychotherapie
In Deutschland warten Menschen durchschnittlich fast 20 Wochen auf einen Psychotherapieplatz. Außerhalb von Großstädten und im Ruhrgebiet seien die Wartezeiten besonders lang wie die Bundespsychotherapeutenkammer in einer aktuellen Studie darlegt. Die Ursache ist eigentlich positiv: Dank einer erfolgreichen Entstigmatisierung wollen sich mehr Betroffene behandeln lassen. 7000 Praxissitze sind aus Sicht der Psychotherapeuten zusätzlich nötig, um Wartezeiten zu verkürzen.
Für Uwe Hauck kam die Therapie zu spät, um seinen Suizidversuch zu verhindern. Er geriet in einen Strudel, bis er keinen Ausweg mehr sah. Er nahm Tabletten, versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden, schrieb per Handy verzweifelte Abschiedsbotschaften an seine Frau. Die alarmierte seine Kollegen. Sie fanden ihn rechtzeitig.
Sibylle Hauck war lange im Dauer-Krisenmodus. Erst seit diesem Jahr hat auch sie eine Therapeutin, kann sich wieder mehr um sich selbst kümmern. Was ihr außerdem hilft, sind Spaziergänge mit einer guten Freundin. Und ihr Mann? Uwe Hauck ist zurück in seiner alten Firma, aber in einem anderen Bereich. Weniger Druck. Er hat ein Buch über seine Erfahrung geschrieben, „Depressionen abzugeben“ heißt es. Und er genießt es wieder, mit seiner Familie etwas zu unternehmen. Es geht voran.
Weitere Zahlen und Info:
21 Prozent der 5000 für die Studie befragten Menschen zwischen 18 und 69 sagten, sie hätten schon einmal die Diagnose Depression gehabt. 27 Prozent gaben an, Angehörige oder Bekannte eines Erkrankten zu sein. 34 Prozent sagten, sie hätten noch keinen Kontakt mit der Krankheit gehabt. 84 Prozent der Erkrankten haben sich während der Depression aus sozialen Beziehungen zurückgezogen. Die Deutsche Depressionshilfe betont, dass die Krankheit oft die Ursache und nicht die Folge von Partnerschaftskonflikten sei.