Mittwoch, 27. Februar 2019

Sehnsucht nach Leben, Sehnsucht nach Tod


Die Sehnsucht nach Lebendigkeit und der Wunsch zu sterben liegen bei einem depressiven Menschen ganz nah beieinander, sagt die Fotografin Nora Klein. Sie hat zusammen mit Betroffenen Fotos gemacht, die von der Krankheit erzählen.
Ute Welty: Abgestorbene Bäume unten, blühende Zweige oben – dieses Bild hat Nora Klein fotografiert, und es ist zu sehen auf ihrem Band „Mal gut, mehr schlecht: Sensible Einsichten in die Innenwelten der Depression“. Zusammen mit anderen Künstlerinnen stellt Nora Klein derzeit in Berlin aus. Es geht darum, sich auch als Außenstehender ein Bild zu machen vom Leben mit einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung. Guten Morgen, Frau Klein!
Nora Klein: Guten Morgen!
Welty: Dieses Bild, was ich eben beschrieben habe von den abgestorbenen Bäumen und den blühenden Zweigen, was erzählt das über das Wesen einer Depression?
Klein: Für mich fasst es eigentlich die Depression ziemlich gut zusammen, weil diese Menschen sehnen sich nach Lebendigkeit, also nach diesem blühenden Leben, aber trotzdem ist dieser Wunsch nach dem Tod oder diesem Sterben auch so groß. Beides existiert zur gleichen Zeit.

„Einblick gewährt in das Schlafzimmer“

Welty: Welche Motive haben Sie darüber hinaus wie ausgewählt?
Klein: Ich hatte verschiedene Weisen, mich dem Thema zu nähern. Mir war es wichtig, die Menschen zu zeigen. Also ich zeige die Menschen im Porträt. Sie hatten dabei die Wahl, entweder anonym dargestellt zu werden oder auch wirklich sichtbar gezeigt zu werden. Des Weiteren hatte ich die Möglichkeit, in ihre Rückzugsorte eintreten zu dürfen. Das heißt, einige Betroffene, mit denen ich gearbeitet habe, sie haben mir Einblick gewährt in das Schlafzimmer zum Beispiel, wo sie vom Bett nicht mehr aufstehen konnten oder die Tapete stundenlang angestarrt haben oder die Couch, auf der sie versackt sind und die Jalousien, die runtergezogen sind. Also bestimmte Bilder zeigen diese ganz konkreten Rückzugsorte, die diese Geschichten teilen mit den Betroffenen.
Dann gibt es aber noch eine weitere Ebene, und zwar habe ich nach Stimmungen gesucht, die die Depression zeigen. Also zum Beispiel Leere oder Schwere. Ich habe mir bestimmte Symptome rausgesucht und habe geschaut: wo sehe ich diese Leere zum Beispiel in meinem Alltag? Und diese assoziativen Bilder ergänzen diese konkreten Orte und Personen zu was Neuem. Es gibt noch eine andere Herangehensweise, und zwar …
Welty: Damit sind wir dann bei vier.
Klein: Genau! Dann habe ich den Betroffenen die Möglichkeit gegeben, ihre ganz eigene subjektive Perspektive noch mit zu involvieren. Und zwar habe ich sie gebeten, Dinge mit mir zu teilen, wenn sie mochten, die aus ihrer persönlichen Sicht die Depression zeigen. Sie haben mit mir Tagebucheinträge, Collagen, Fotografien oder gemalte Dinge, die während Therapien entstanden sind, geteilt. Diese findet man dann auch im Buch in so kleinen Ausziehpostern, die man sich auf ganz physische Art und Weise selber erarbeiten muss im Bildband.
Welty: Wenn wir mal bei Herangehensweise zwei und vier einhaken. Das sind ja schon sehr private Momente, die Sie da miteinander teilen, wobei ich auch eine praktische Frage habe. Wenn jemand nicht in der Lage ist, aufzustehen, wie sind Sie dann in die Wohnung und ins Schlafzimmer gekommen?
Klein: Mit allen Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, die waren schon stabilisiert auf eine gewisse Art und Weise. Also es war, glaube ich, zu ganz akuten Situationen überhaupt nicht möglich, mit solchen Menschen zu arbeiten, sondern ihnen ging es schon auf eine gewisse Art und Weise besser, und sie hatten überhaupt die Kraft, an so einem Projekt teilzunehmen.
Welty: Und wenn ich dann noch mal bei eins und drei einhake, bei den Motiven und den Stimmungen: Wie weicht man der Versuchung aus, dass diese Bilder, die man findet, die Symbole, die man findet für die Depression, zu sehr eins zu eins sind, zu sehr vereinfachen und vielleicht auch zu platt?
Klein: Ich habe einfach erst mal ganz viel fotografisch gesammelt. Also vielleicht auch noch interessant zu wissen: Also mit allen Menschen, die sich entschieden hatten, mit mir zu arbeiten, habe ich erst mal ganz, ganz lange Gespräche geführt, über viele Stunden, wo sie mir aus ihrer Sicht die Depression gezeigt haben, mich haben Einblick gewähren lassen in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. Aufgrund dieser Gespräche ist dann für mich auch ein Bild entstanden, wie man das in fotografische Bilder transportieren kann.

„Ich habe einfach wertfrei zugehört“

Welty: Haben Sie bei diesen Gesprächen auch sowas wie Hoffnung gespürt? Wenn ich jetzt darüber erzähle, geht es mir besser? Waren Sie ein Stück Therapie?
Klein: Ich glaube, für die Menschen war es gut, dass sie erzählen konnten, ohne dass ein bestimmter Zweck verfolgt wurde. Ich war nicht der Arzt, der ein bestimmtes Therapieziel vor Augen hat. Ich war nicht ein Angehöriger, der will, dass es ihm besser geht, sondern ich habe einfach wertfrei zugehört. Das haben mir viele zurückgemeldet, dass ihnen das sehr, sehr guttut.
Welty: Umgekehrt wird Ihr Buch inzwischen ja auch von Therapeuten und Therapeutinnen eingesetzt. Was genau passiert dann damit?
Klein: Also es gibt die Möglichkeit, dass Therapeuten das Buch als Kommunikationsmittel nutzen können. Das heißt, ganz oft fällt es ja Betroffenen schwer, auch in Worte zu fassen, was sie selber denken und fühlen, und dann kann dieses Buch eine Grundlage dafür sein, wenn der Klient mit dem Therapeuten durch das Buch schaut, zu beschreiben, wie es ihm selbst geht, aufgrund dieses Betrachten des Bildes besser in Worte fassen kann, was und wie es ihm geht.
Welty: Wann und warum haben Sie begonnen, sich mit dem Thema Depression künstlerisch auseinanderzusetzen?
Klein: Das ist jetzt wirklich schon einige Jahre her. Also 2013 habe ich damit begonnen, mich dem Thema zuzuwenden. Mein Vater, der ist Psychologe, ich glaube, daher habe ich so eine Grundmotivation, mich mit psychischen Themen auseinanderzusetzen. Ich finde es unglaublich spannend, was in uns abläuft, wie wir von unserer Psyche geprägt werden, ohne dass wir es wirklich so wahrnehmen können oder uns erklären können.
Ich hatte aber natürlich auch Menschen in meinem Bekanntenkreis, die daran erkrankt sind, und konnte mir ganz schwer vorstellen, wie es ist, sich in solch einer Welt zu befinden und was man denkt und was man fühlt. Also es war für mich so eine Motivation, dem nachzugehen und es für mich transparenter zu machen und dann natürlich, wenn möglich, auch für andere.
Welty: Fotografin Nora Klein stellt ihre Bilder über Depression zurzeit in Berlin aus. Darüber haben wir hier in „Studio 9“ gesprochen. Dafür danke ich!
Klein: Danke Ihnen!
Welty: Und zu sehen ist die Ausstellung über das Leben mit psychischen Erkrankungen unter dem Titel „Crazy“ im F3 – Freiraum für Fotografie noch bis zum 21. April.

Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/fotografin-nora-klein-ueber-depression-sehnsucht-nach-leben.1008.de.html?dram:article_id=441271

Wo Kinder am häufigsten unter Depression und Schulangst leiden


Eine Depression ist eine ernste psychische Erkrankung – auch Kinder und Jugendliche können darunter leiden. Wo sind sie am ehesten betroffen? Das hat eine Krankenkasse ermittelt.
Kinder und Jugendliche in Berlin werden laut einer Krankenkassenuntersuchung überdurchschnittlich häufig wegen Depression und Schulangst behandelt. Mit 12,5 Fällen diagnostizierter Depression pro 1.000 minderjährige Berliner liegt der Wert 28 Prozent höher als im Bundesschnitt und zehn Prozent höher als in anderen Großstädten. Das geht aus dem ersten Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit für die Hauptstadt hervor.

44 von 1.000 Schülern haben Schulangst

Bei Schulangst mit rund 44 Fällen pro 1.000 sei der Berliner Wert um knapp ein Viertel im Vergleich zum Bundesschnitt erhöht, schreiben die Autoren der Universität Bielefeld. Ein möglicher Grund für das häufigere Vorkommen solcher Diagnosen in Berlin könnten die vorhandenen Versorgungsstrukturen sein, heißt es auf Anfrage bei der Kasse. Näheres müssten die geplanten Folgeuntersuchungen zeigen.

Der nach DAK-Angaben repräsentative Report basiert auf Abrechnungsdaten von mehr als 26.000 DAK-versicherten Minderjährigen in Berlin aus dem Jahr 2016. Bundesweit ließ die Kasse Daten von knapp 590.000 Kindern auswerten.

Quelle: https://www.t-online.de/gesundheit/kindergesundheit/id_85275956/dak-report-depression-haeufiger-bei-kindern-in-berlin.html

Burnout im Kinderzimmer


 
Ende September in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee: Auf der Station für Jugendliche mit psychosomatischen Erkrankungen soll Lenya lernen, in Stress-Situation ruhig zu atmen. Seit fünf Monaten ist die 16-Jährige hier in der Klinik. Vielen Betroffenen fällt es nicht leicht, offen über ihre Erkrankung zu reden, doch Lenya findet es wichtig zu erzählen, warum sie damals mit elf Jahren krank geworden ist.

Leistungsdruck in der Schule und in der Freizeit

Stress war einer der Auslöser. "Immer gute Leistungen bringen, eine gute Schülerin sein, gut in seinen Hobbies sein. Einfach der Druck, der entsteht, dass es einfach irgendwann zu viel wird", sagt Lenya.
Zu hoher Leistungsdruck – mit diesem Problem ist Lenya nicht alleine. Vier von zehn Schülerinnen und Schülern fühlen sich oft bis sehr oft gestresst, wie jüngst eine Studie der Krankenkasse DAK ergab. Bemerkbar macht sich der Stress bei den Betroffen häufig durch körperliche Beschwerden: Sie leiden überdurchschnittlich oft an Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Rückenschmerzen und Schlafstörungen.

Erschöpfung als Folge von Stress

Am häufigsten führt Stress zu Erschöpfung, so wie bei Lenya. In ihrem früheren Leben waren ihr Noten sehr wichtig, weil sie unbedingt Ärztin werde wollte und dafür einen Schnitt von 1,0 braucht. Neben der Schule sang sie im Chor, machte Sport. Und aß immer weniger, denn der Druck wurde ihr irgendwann zu viel: "So viel, dass ich mich aus allem herausgenommen habe: aus meinen Hobbies, aus der Schule, aus meinem bis dahin aufgebauten leben. Weil ich mich einfach nur noch abgeschottet habe. Dann ging gar nichts mehr."

Diagnose Burnout

Lenya war ausgebrannt, erschöpft. Burnout würden viele sagen. Doch Burnout ist keine Diagnose im medizinischen Sinn. Meist stehen dahinter psychische Erkrankungen wie Erschöpfungsdepressionen, manchmal auch in Verbindung mit anderen Krankheiten wie Essstörungen oder Panikattacken. Mit dem Begriff Burnout können viele Menschen aber mehr anfangen.
Deshalb hat der Hamburger Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort den Titel seines Buches "Burnout-Kids" genau so gewählt. Er will auf die Brisanz des Themas aufmerksam machen: "Inzwischen ist es schon so, dass ich Grundschüler aus vierten Klassen sehe, die sagen, wenn ich den Übergang ins Gymnasium nicht schaffe, dann ist mein Leben gelaufen."

Lange Wartezeiten für Kinder und Jugendliche

Das Problem ist so groß, dass sie auf Schulte-Markworts Station der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf lange Wartelisten haben: Im Durchschnitt etwa sechs Monate müssen Kinder und Jugendliche dort auf einen stationären Therapieplatz warten. Auch in der in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee gibt es Wartelisten, wenn auch weniger lange.
Wie hoch die Wartezeiten im bundesweiten Durchschnitt für stationäre Therapieplätze sind, ist unklar. Bei den zuständigen Ministerien und Stellen gibt es keine entsprechenden Zahlen. Man verweist uns an die Psychotherapeutenkammer. Dort heißt es, es dauere 17,8 Wochen bis Kinder und Jugendliche eine ambulante Behandlung beginnen können.

Krankheit birgt Lebensgefahr

Seit 30 Jahren arbeitet Schulte-Markwort schon als Kinderpsychiater. Seiner Meinung nach sind nicht die Kinder schwieriger geworden, sondern die äußeren Bedingungen. Kinder würden heute mit einem durchökonomisierten Prinzip aufwachsen. "Es geht immer nur um Wert und Gegenwert und immer darum, dass mehr Leistung erbracht werden muss." Oft gehen Suizidgedanken mit einer Depression einher und machen die Krankheit damit lebensgefährlich. Laut Schätzungen sind zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen, das entspricht über einer Million in ganz Deutschland.

Die Lebensfreude kommt wieder

Doch nur ein Teil der Betroffenen ist in Behandlung. Auch weil viele nicht wissen, was mit ihnen los ist. So ging es auch Lenya am Anfang. Erst durch Therapie und Klinikaufenthalt begann sie, die Krankheit zu verstehen und sich selbst zu akzeptieren – auch ohne immer Bestleistung zu erbringen.
Ein einfacher Weg ist das nicht: Das Politik-Magazin Kontrovers begleitete sie fast ein halbes Jahr bei ihrem Klinik-Aufenthalt und Kampf gegen die Krankheit. Erst beim letzten Treffen im Februar ist nun ein Ende in Sicht, und Lenya blickt wieder positiv in die Zukunft: "Zu merken, dass es bergauf geht und ich meine Lebensfreude wiedergewinne, das ist echt schön!"

Quelle: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/burn-out-im-kinderzimmer,RIYiTNj