Mittwoch, 27. Februar 2019

Burnout im Kinderzimmer


 
Ende September in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee: Auf der Station für Jugendliche mit psychosomatischen Erkrankungen soll Lenya lernen, in Stress-Situation ruhig zu atmen. Seit fünf Monaten ist die 16-Jährige hier in der Klinik. Vielen Betroffenen fällt es nicht leicht, offen über ihre Erkrankung zu reden, doch Lenya findet es wichtig zu erzählen, warum sie damals mit elf Jahren krank geworden ist.

Leistungsdruck in der Schule und in der Freizeit

Stress war einer der Auslöser. "Immer gute Leistungen bringen, eine gute Schülerin sein, gut in seinen Hobbies sein. Einfach der Druck, der entsteht, dass es einfach irgendwann zu viel wird", sagt Lenya.
Zu hoher Leistungsdruck – mit diesem Problem ist Lenya nicht alleine. Vier von zehn Schülerinnen und Schülern fühlen sich oft bis sehr oft gestresst, wie jüngst eine Studie der Krankenkasse DAK ergab. Bemerkbar macht sich der Stress bei den Betroffen häufig durch körperliche Beschwerden: Sie leiden überdurchschnittlich oft an Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Rückenschmerzen und Schlafstörungen.

Erschöpfung als Folge von Stress

Am häufigsten führt Stress zu Erschöpfung, so wie bei Lenya. In ihrem früheren Leben waren ihr Noten sehr wichtig, weil sie unbedingt Ärztin werde wollte und dafür einen Schnitt von 1,0 braucht. Neben der Schule sang sie im Chor, machte Sport. Und aß immer weniger, denn der Druck wurde ihr irgendwann zu viel: "So viel, dass ich mich aus allem herausgenommen habe: aus meinen Hobbies, aus der Schule, aus meinem bis dahin aufgebauten leben. Weil ich mich einfach nur noch abgeschottet habe. Dann ging gar nichts mehr."

Diagnose Burnout

Lenya war ausgebrannt, erschöpft. Burnout würden viele sagen. Doch Burnout ist keine Diagnose im medizinischen Sinn. Meist stehen dahinter psychische Erkrankungen wie Erschöpfungsdepressionen, manchmal auch in Verbindung mit anderen Krankheiten wie Essstörungen oder Panikattacken. Mit dem Begriff Burnout können viele Menschen aber mehr anfangen.
Deshalb hat der Hamburger Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort den Titel seines Buches "Burnout-Kids" genau so gewählt. Er will auf die Brisanz des Themas aufmerksam machen: "Inzwischen ist es schon so, dass ich Grundschüler aus vierten Klassen sehe, die sagen, wenn ich den Übergang ins Gymnasium nicht schaffe, dann ist mein Leben gelaufen."

Lange Wartezeiten für Kinder und Jugendliche

Das Problem ist so groß, dass sie auf Schulte-Markworts Station der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf lange Wartelisten haben: Im Durchschnitt etwa sechs Monate müssen Kinder und Jugendliche dort auf einen stationären Therapieplatz warten. Auch in der in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee gibt es Wartelisten, wenn auch weniger lange.
Wie hoch die Wartezeiten im bundesweiten Durchschnitt für stationäre Therapieplätze sind, ist unklar. Bei den zuständigen Ministerien und Stellen gibt es keine entsprechenden Zahlen. Man verweist uns an die Psychotherapeutenkammer. Dort heißt es, es dauere 17,8 Wochen bis Kinder und Jugendliche eine ambulante Behandlung beginnen können.

Krankheit birgt Lebensgefahr

Seit 30 Jahren arbeitet Schulte-Markwort schon als Kinderpsychiater. Seiner Meinung nach sind nicht die Kinder schwieriger geworden, sondern die äußeren Bedingungen. Kinder würden heute mit einem durchökonomisierten Prinzip aufwachsen. "Es geht immer nur um Wert und Gegenwert und immer darum, dass mehr Leistung erbracht werden muss." Oft gehen Suizidgedanken mit einer Depression einher und machen die Krankheit damit lebensgefährlich. Laut Schätzungen sind zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen, das entspricht über einer Million in ganz Deutschland.

Die Lebensfreude kommt wieder

Doch nur ein Teil der Betroffenen ist in Behandlung. Auch weil viele nicht wissen, was mit ihnen los ist. So ging es auch Lenya am Anfang. Erst durch Therapie und Klinikaufenthalt begann sie, die Krankheit zu verstehen und sich selbst zu akzeptieren – auch ohne immer Bestleistung zu erbringen.
Ein einfacher Weg ist das nicht: Das Politik-Magazin Kontrovers begleitete sie fast ein halbes Jahr bei ihrem Klinik-Aufenthalt und Kampf gegen die Krankheit. Erst beim letzten Treffen im Februar ist nun ein Ende in Sicht, und Lenya blickt wieder positiv in die Zukunft: "Zu merken, dass es bergauf geht und ich meine Lebensfreude wiedergewinne, das ist echt schön!"

Quelle: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/burn-out-im-kinderzimmer,RIYiTNj

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