Mittwoch, 3. Oktober 2018

Achtsamkeit


Schönes Beispiel für die Achtsamkeit:

Brot gegen Burnout

Seit 25 Jahren praktiziert im Sonnenhügel im ehemaligen Kloster Schüpfheim LU eine kleine Gemeinschaft einen Lebensstil, welcher sich an den Idealen klassischer Klöster orientiert und der aufgrund seines regelmässigen Rhythmus von vielen Menschen in akuten Krisen als heilsam erlebt wird. Entschleunigung und Achtsamkeit sind die zentralen Stichworte für eine neue Form der «Therapie» im Kloster.
An dieser Stelle ist nicht vom Brot-Essen die Rede. Noch nicht, denn das kommt erst zum Schluss. Das Wesentliche beginnt viel früher.
Sebastian steht in der Küche und beugt sich über das Rezept, welches über viele Jahre verfeinert wurde. Sorgfältig mischt er die verschiedenen Mehle, das selbstgemahlene Schrot, eine Handvoll Körner und etwas Salz, er löst die Hefe im lauwarmen Wasser auf und beginnt zu rühren. Von Hand natürlich, wie sich das im Kloster gehört.
Es ist allerdings kein gewöhnliches Kloster, in welchem er sich befindet. Es ist das einzige Kloster im deutschsprachigen Raum, welches auch Menschen in akuten psychischen Krisen für einen Aufenthalt offen steht. Vor wenigen Tagen erst ist Sebastian hier im Sonnenhügel empfangen worden. Im Alltag Zuhause respektive bei der Arbeit ging nichts mehr. Burnout.
Heute Morgen packte ihn die Lust zum Brotbacken. Zwar standen auch andere Arbeiten zur Auswahl, die ihm näher lägen, etwa im Garten oder in der Werkstatt. Aber einmal im Leben das frische Brot, welches hier jeweils den Frühstückstisch mit Duft erfüllt, selber backen, lockte ihn. Er ahnt noch nicht, dass diese Erfahrung sein Leben nachhaltig verändern wird.
Noch klebt der Teig schwer zwischen seinen Fingern, obwohl er das Wasser exakt laut Rezept abgemessen hat. Die Luftfeuchtigkeit sei halt nicht jeden Tag gleich, meint Elisabeth, die Verantwortliche für die Küche, mit Blick auf das eher trübe Herbstwetter draussen. Das habe auch Einfluss auf den Brotteig. Es ist Sebastian fremd, sich nicht ausschliesslich auf das Geschriebene verlassen zu können, sondern auf sein Gespür achten zu müssen. Zaghaft schüttet er etwas Mehl nach.
Auf dem Rezeptblatt steht, dass der Teig ausgiebig geknetet werden müsse. Am Anfang hat er sich gewundert, warum dafür keine Maschine zur Verfügung steht. Erst etwas widerwillig gräbt er seine Hände in die nasse Masse. Von Minute zu Minute breitet sich jedoch die Lust am Kneten in ihm aus, wie der Teig zwischen den Fingern hervorquillt, feucht, zunehmend wärmer, da und dort etwas körnig und je länger desto mehr geschmeidig und formbar. Dieses sinnliche Erlebnis kostet er aus. Und je länger er knetet, desto mehr Energie fliesst in den Teig, bis er schliesslich merkt, wie er richtig Dampf ablässt. Zaghaft steigt so manch unverarbeitete Wut in ihm auf und findet den Weg in den Teig, welcher er nun heftig schlägt und traktiert. Die Luftblasen werden mehr und mehr, ganz zur Freude von Elisabeth.
Nun sei genug, meint sie nach einer Viertelstunde. Sogleich will sich Sebastian ans Formen machen und schaut sich nach dem Backblech um. Befremdet nimmt er zur Kenntnis, dass der Teig feucht zugedeckt erst ruhen muss. Ruhen lassen? Warten? Fremdwörter für ihn. Er kennt Effizienz, Optimierung, Gewinnstreben und Output. Zwar hat er es in letzter Zeit auch mal mit Meditation versucht, doch diese äusserlich stillen Zeiten waren eher ein spiritueller Sport für ihn. Auch beim Meditieren kann man leicht der Versuchung erliegen, es möglichst lange, effizient und gut zu machen.
Der Brotteig zwingt ihn zu einer Horizonterweiterung. Gut Ding will Weile haben. Er hat seinen Beitrag geleistet, nun muss er wirken lassen. Er muss das Ding aus der Hand geben. Er kann es nicht mehr beeinflussen, sondern muss darauf vertrauen, dass etwas daraus werden wird – Ohnmachtsgefühle. Immerhin kann er in der Zwischenzeit Geschirr spülen und ist nicht zum kompletten Nichtstun verurteilt – eine Erleichterung.
Nach einigen langen Stunden hat sich unmerklich etwas getan in der Küche. Das feuchte Tuch, mit dem die Teigschüssel zugedeckt ist, hat eine deutliche Wölbung erhalten. Der Teig ist jetzt rund doppelt so gross und kann endlich gebacken werden. Bald schon wird der Duft von frischem Brot die langen Gänge erfüllen. Die vorbeihuschenden Mitglieder der Kerngemeinschaft und andere Gäste werden ihren Kopf neugierig in die Küche strecken und Ahs und Ohs von sich geben. Am Abend beim Nachtessen dann die vielen Komplimente über sein erstes Klosterbrot. Auch diese Feedbacks tun gut und sind heilsam, wenn sie auch nicht das Wesentliche sind.
Sebastian ist kein neuer Mensch, als er einige Wochen später wieder aufbricht vom Sonnenhügel. Er ist aber auch nicht mehr der alte. Denn etwas ist passiert in der Zeit im Kloster. Mit im Gepäck hat er das Klosterbrotrezept. Nicht einfach eine Fotokopie, nein, er hat es sich von Hand in sein Notizbuch abgeschrieben. Gut Ding will eben Weile haben. Ob er oft dazu kommen wird, selber Brot zu backen, wird sich erst noch weisen. Aber mit dem Rezept verknüpft sind eine ganze Reihe von neuen Grunderfahrungen, die seinem Leben eine Wende gegeben haben: sinnliche Erfahrungen, achtsam vorgehen, Zulassen auch von dunklen Gefühlen, Ohnmacht aushalten, nicht alles im Griff haben wollen, Vertrauen lernen, sich etwas Neues zutrauen und Lob annehmen.
Sebastian wird in den kommenden Jahren regelmässig in den Sonnenhügel zurückkehren, um diese Erfahrungen aufzufrischen. Im Rhythmus der Gemeinschaft geht das eben leichter. Nicht nur Brot essen, sondern auch Brot backen dient dem Leben und ist somit «Therapie», ganz im Sinne der ursprünglichen griechischen Bedeutung des Wortes, welches Dienen bedeutet.

Seit 25 Jahren bietet der Sonnenhügel solche einfache Alltagsarbeiten als «Therapie» an. Die fünfköpfige Gemeinschaft des Sonnenhügels nimmt Gäste auf, ausdrücklich auch solche in schwierigen Lebenssituationen oder akuten Krisen. Die Gäste sind für eine Woche bis maximal ein halbes Jahr Teil der Gemeinschaft und können sich neben Zeiten der Stille an den anfallenden Arbeiten in Garten und Haushalt beteiligen.
Am Wochenende vom 20./21. Oktober bietet der Sonnenhügel die Gelegenheit, anlässlich von Tagen der offenen Klosterpforte das neu renovierte und um einen Anbau ergänzte Kloster Schüpfheim aus dem Jahr 1655 zu besichtigen.
Weitere Informationen unter www.sunnehuegel.org

Quelle: https://www.kath.ch/medienspiegel/brot-gegen-burnout/

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