Mittwoch, 13. Februar 2019

Mit „Du hättest mich nur fragen müssen“ betreten Männer ein Minenfeld


Die Frau organisiert den Haushalt, der Mann arbeitet auf Nachfrage hin zu – dieses weit verbreitete Modell laugt viele Frauen aus. Sie beklagen den „Mental Load“, die totale Überlastung. Sind die unachtsamen Männer schuld?

Stefan hat den Müll nicht runtergebracht. Als seine Freundin Hannah ihn darauf anspricht, verteidigt er sich: „Normalerweise stellst du mir den Müllsack an die Haustür, damit ich sehe, dass ich ihn wegbringen muss.“ Hannah könnte explodieren – jetzt soll sie Stefan auch noch bei seinen wenigen Aufgaben im Haushalt zuarbeiten? Dann könnte sie es genauso gut gleich selbst erledigen.

Sie macht ja eh schon alles andere, zählt sie Stefan auf: Denkt an die Spülmaschinentabs (“Schon wieder alle“), die Handtücher (“Keine frischen mehr da, bald muss ich waschen“), die Babysitterin (“Wollte ich noch für Samstag anfragen!“). Stefan sieht etwas ratlos aus, mit ihrem Ausbruch hatte er nicht gerechnet. Wieso, fragt er Hannah, bittet sie ihn nicht einfach um Hilfe, wenn sie welche braucht?
„Warum hast du mich nicht gefragt?“ - über diese unschuldig-hilfsbereit klingende Frage von Männern regen sich viele Frauen auf. Es gibt sogar einen Comic darüber, die französische Illustratorin Emma hat ihn 2017 veröffentlicht. Er handelt von Frauen, die stets an alles denken und viele Arbeiten vorauseilend übernehmen, und von Männern, die nichts dergleichen tun. Nicht einmal das oft aus Frauensicht Mindeste: zu registrieren, was sie alles nicht tun.

Laut Emma gibt es eine klare Rollenverteilung in den allermeisten Beziehungen und Familien mit Kind. Die Frau ist die „Managerin des Haushalts“, der Mann ihr „Untergebener“. Er übernimmt durchaus Jobs, sie muss sie ihm aber zuteilen. Die unsichtbare Arbeit der Organisation und der Stress, der damit verbunden ist, bleiben ihr überlassen.
Mit dem Comic traf Emma einen Nerv, er wurde dutzendfach auf Blogs, bei Instagram und in Podcasts aufgegriffen. Vor allem aber bescherte die Französin dem öffentlichen Diskurs ein neues Lieblingswort: „Mental Load“ - die Last des Dran-Denkens. Erfunden hat Emma den Begriff nicht, sie schreibt ihn „Feministinnen“ zu. Manchmal taucht er auch unter „Emotional Work“ auf, emotionale Arbeit.
Woher er tatsächlich kommt, lässt sich nur schwer nachvollziehen, wahrscheinlich beruht er auf der „Cognitive Load Theory“. Dabei geht es um die Frage, wie das menschliche Gehirn mit seiner begrenzten Kapazität am besten lernt - indem man es nämlich nicht mit Informationen „überlädt“.

Der Burnout der Frauen

Genau so kann man sich „Mental Load“ vorstellen, als Überlastung. Nicht nur des Gehirns, das mit To-Dos und allen möglichen Überlegungen jonglieren muss, sondern auch des Gefühlslebens. „Es beschreibt einen Zustand der Erschöpfung und Überforderung, ein Gefühl der inneren Ohnmacht“, erklärt die Ärztin Mirriam Prieß, die mehrere Bücher zum Thema Burnout veröffentlicht hat. Eine Diagnose sei „Mental Load“ nicht, aber: „Der Begriff prägt sich im Moment wie damals Burnout.“
Der Unterschied zu Burnout ist, vereinfacht formuliert, das Geschlecht. Frauen haben „Mental Load“, sie erschöpfen sich im Häuslichen. Männer und auch einige Frauen haben Burnout, sie brennen im Job aus. Das Geschlechterverhältnis deckt sich mit den Erfahrungen, die Prieß als Beraterin und Coach gemacht hat. Doch letztlich, sagt die Medizinerin, stecke dahinter ein ähnlicher Mechanismus: „Man will die Ansprüche, die man an sich selbst hat, und die, von denen man meint, die Gesellschaft hätte sie, bis zur Perfektion erfüllen.“
Die Ansprüche, von denen Prieß spricht, sind oft von den eigenen Eltern gelernt. „Gerade, wenn man Kinder bekommt und vielleicht auch zu Hause bleibt, ist man von bestimmten Vorstellungen geprägt. Man lebt viel mehr das, was die eigene Kindheit ausgemacht hat, als das, was man sich eigentlich vorstellt, was der Persönlichkeit entspricht und machbar wäre.“ Früher hat Mutter den Haushalt geschmissen und Vater allerhöchstens ab und zu den Tisch gedeckt? Dann halten es Tochter und Sohn in ihren Familien sehr wahrscheinlich nicht viel anders: Sie kümmert sich, er arbeitet zu.

Das Problem entsteht dann, wenn die Frauen sich das alles ganz anders vorgestellt hatten. Wenn sie lieber eine Beziehung führen würden, in der die Aufgaben gerecht geteilt werden, egal, ob es nun um den Badputz oder die Organisation der Kindergeburtstage geht. Erst recht, wenn die Frauen genau wie ihre Männer einen Job haben. Und wenn sie im Bemühen, alle Ansprüche zu erfüllen, irgendwann vergessen, dass diese Ansprüche nicht ihre eigenen sind.
Bei Burnout-Experin Prieß klingt das so: „Wir müssen mit uns selbst in Beziehung stehen, mit unserem Wesen in Kontakt sein und einen inneren Dialog haben. Viele, die sich erschöpfen, haben den inneren Dialog verloren. Sie reagieren nur noch auf die Außenwelt und haben verlernt, an den richtigen Stellen Ja und Nein zu sagen.“ Das ist es, was so auslaugt.
Hat daran jemand schuld? Die Frage ist Unsinn, und doch beantworten Comic-Zeichnerin Emma und viele Mütter-Bloggerinnen sie auf die gleiche Weise: All das liegt an den Männern. Die doch einfach nur mal ein bisschen mitdenken müssten, sich mehr engagieren sollten! Die nicht immer davon ausgehen können, dass ihre Frauen und Freundinnen sich um alles kümmern werden.
Natürlich stimmt das alles, man darf Männern im Jahr 2019 schon zutrauen, auch mal von selbst darauf zu kommen, Milch einzukaufen oder den Müll zu leeren, wenn er voll ist. Andererseits geht es ihnen ja nicht anders als ihren Partnerinnen, Stichwort Prägung im Kindesalter.

Wieder verzichten lernen

Hinzu kommt laut Prieß aber auch, dass bei vielen Frauen „der innere Dialog, der echte Selbstwert nicht gegeben ist. Sie definieren sich über die Leistung in der Familie, über die Versorgung, über die Kinder. So wie viele Männer, aber auch Frauen sich über die Karriere definieren.“
Damit konfrontiert, reagieren die Frauen oft ähnlich. Sie erzählen der Beraterin, dass sie sich ständig um andere kümmern - weil es ihnen erst dann gut gehe, wenn es den anderen gut geht. „Das Kümmern um den anderen wird dann zum indirekten Kümmern um sich selbst, eine Begegnung findet dabei nicht statt. Für diese Frauen ist das Sich-Kümmern zum Selbstobjekt geworden“, erklärt Prieß. Also einer, vielleicht sogar der einzige Grundstein ihres Selbstwertgebäudes.
„Mental Load“ ist aber auch ein Ergebnis der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung, dass alles jederzeit möglich ist, mehr noch: möglich sein muss. Prieß berichtet von einem ihrer Klienten, der genau wie seine Frau in einer Führungsposition tätig sein wollte: „Doch was tut man, wenn das Kind krank wird? Und wenn man gern noch zwei weitere Kinder hätte? Es kam ihm gar nicht in den Sinn, zu hinterfragen, ob das überhaupt so möglich war und er war richtig erleichtert, als er die Überlegung zuließ: Vielleicht geht es so nicht, vielleicht müssen einer oder müssen beide von uns auf etwas verzichten Diese Fähigkeit, sich auf etwas zu konzentrieren und dafür an anderer Stelle zu verzichten, geht immer mehr verloren.“
Und so kommt die Erschöpfung ins Spiel, bei Männern genauso wie bei Frauen. Sie haben, sagt Prieß, einen „narzisstischen Anspruch“: den, mehr zu leisten und zu sein, als sie leisten und sein können.

Quelle: https://www.welt.de/icon/iconista/article187903992/Mental-Load-Wenn-Muetter-und-Frauen-sich-ueberlastet-fuehlen.html

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